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Von wegen Schicksal

Helga Reidemeister – In person

5. bis 12. Oktober 2016

Im nunmehr fünften Jahrzehnt verhandeln die Dokumentarfilme der 1940 in Halle an der Saale geborenen Helga Reidemeister das Ineinander dessen, was gemeinhin als das Persönliche und das Politische bezeichnet (und unterschieden) wird. Nach einem Malereistudium und der Tätigkeit als Sozialarbeiterin im Märkischen Viertel Berlins beginnt Reidemeister im Alter von 33 Jahren ein Studium an der dffb, das sie mit Von wegen "Schicksal" (1979) abschließt. Im Kern enthält dieser Film bereits alles, was ihre dokumentarische Stimme ausmacht: den einzelnen Menschen in den Fokus nehmen, ohne die ihn umgebende politische Struktur aus den Augen zu verlieren; und dabei nicht so sehr über Menschen erzählen, als vielmehr mit ihnen gemeinsam. Helga Reidemeister wirkt oft mehr wie eine Verbündete ihrer Protagonist/inn/en, weswegen Paradigmen der Objektivität und dokumentarischen Ethik bei ihr zu kurz greifen: Sie mischt sich von hinter der Kamera ein, spricht mit den Menschen, äußert ihre Meinung, artikuliert alternative Sichtweisen, wird so Teil der Welt vor der Kamera.
 
In der Gesamtheit liest sich ihr Werk als Projekt alternativer Geschichtsschreibung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg: Nicht die "großen" Themen kommen zum Tragen, sondern marginalisierte Diskurse. Kein patriarchaler Blick auf die Zeichen der Zeit, sondern jener einer dezidiert kritisch denkenden Frau auf deren Begleiterscheinungen: Familienstrukturen und Lebensbedingungen der Arbeiterschaft in den 1970er Jahren; Frauenbilder zwischen Kommerz und Rebellion in den Achtzigern; das Ende des Kalten Krieges aus der Sicht abziehender Sowjet-Soldaten in den Neunzigern; Strafinstitutionen und das Leben im vom Krieg gezeichneten Afghanistan im neuen Jahrtausend.

Helga Reidemeister wird im Filmmuseum zu Gast sein und an der Schule Friedl Kubelka für unabhängigen Film einen Workshop über dokumentarische Filmarbeit halten.
Zusätzliche Materialien