The Night of the Hunter, 1955, Charles Laughton

Robert Mitchum

1. Dezember 2011 bis 6. Jänner 2012
 
Robert Charles Durman Mitchum (1917-97) besaß ein loses Mundwerk, einen starken Zug zur Unabhängigkeit und extreme Disziplin in seinem Metier. Er nahm die Schauspielerei ernst, das bestätigen alle, die mit ihm gearbeitet haben. Doch wenn er gebeten wurde, seine Leistungen zusammenzufassen, klang das meistens so: „Ich habe alles ­gespielt außer Zwerge und Frauen.“ Oder: „Der einzige Unterschied zwischen mir und meinen Kollegen ist, dass ich mehr Zeit im Gefängnis verbracht habe.“ Oder: „I never changed anything, except my underwear. I took what came and did the best I could with it.“ Das ist, ironisch gegen sich selbst gewendet, dieselbe Lässigkeit, Leichtigkeit, Coolness, die sein Genie auf der Leinwand ausmachten. Er war, so Charles Laughton, „der beste Schauspieler der Welt“ – und wahrscheinlich auch der meistunterschätzte, zumindest was offizielle Würdigungen betrifft.

 
Großartig sein, ohne je darüber zu reden. Bewegend sein, ohne sich dabei zu bewegen. Vor der Kamera Humor und Intelligenz verstrahlen, aber danach so zu tun, als wäre alles nur Schlafwandlerei. Einer schöpferischen Arbeit und vielfältigen Interessen nachgehen, aber den zynischen Angestellten raushängen lassen. Wie aus diesen scheinbaren Widersprüchen eine Figur der Kinoweltliteratur wird, lässt sich nun im Filmmuseum ermessen: anhand von 30 Werken, die Robert Mitchum mitgestaltet hat. Die Retrospektive würdigt einen Darsteller, dessen rätselhafte Unangestrengtheit manche Beobachter tief verstört und andere in Verzückung versetzt hat. David Thomsons langer Lexikoneintrag über Mitchum endet mit einem Absatz, der nur ein Wort enthält: „Untouchable.“
 
Mitchums Haltung bzw. Image, die Mischung aus Pragmatik und Machismo, war zweifellos geprägt vom Hobo-Leben, das er als Teenager führte. Als er zwei Jahre alt war, starb sein Vater, ein Gleisarbeiter, bei einem Unfall. Mit zwölf riss er von zu Hause aus, mit 15 wurde er zum Kettensträfling. Er schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch (u. a. als Boxer) und begann Marihuana zu rauchen: Für „the poor man’s whisky“, wie er die Droge nannte, hatte er zeitlebens ein Faible. 1936 ließ er sich in Kalifornien nieder, wo er erste Bühnenkontakte aufnahm und ein Talent als Autor, nicht zuletzt von Liedtexten, unter Beweis stellte. 1940 heiratete er seine Jugendfreundin Dorothy (die Ehe hielt bis zu seinem Tod) und übernahm einen Fließband-Job beim Flugzeugkonstrukteur Lockheed, den er wegen Nervenzusammenbrüchen und zeitweiliger Blindheit wieder aufgeben musste – weshalb er sich schließlich 1943 eher zufällig beim Film verdingte.
 
Ein Jahr und 20 Kleinstrollen später gab er als Hauptdarsteller von William Castles furiosem B-Thriller When Strangers Marry bereits die perfekte Vorschau auf seinen baldigen Status als „Seele des Film noir“ (Roger Ebert). 1945 gelang ihm der Durchbruch mit William Wellmans Weltkriegsklassiker Story of G.I. Joe, für den er auch seine einzige Oscar-Nominierung erhielt. In Mitchums Rolle – ein Offizier, der die eigene Erschöpfung und Angst verbirgt, um ­seinen Männern Rückhalt zu geben – spiegelt sich der schillernde Minimalismus seiner eigenen Arbeit: Hinter dem vermeintlichen Pokerface verbergen sich genuines Pathos und außerordentliche Klugheit.
 
Und dann, am Höhepunkt des Film noir in den Nachkriegsjahren, beginnt ein Lauf, der seinesgleichen sucht. Hier blättert Mitchum jenes Figurenarsenal auf, das für seine ganze Laufbahn prägend wer­den sollte: all die „loser und loner, hunter und wanderer“ (Michael Althen), die sich nicht nur im Großstadtdschungel bewegen, sondern auch in psychologischen Western wie Pursued von Raoul Walsh oder romantisch-komödiantischen Krimis, in denen zwischen Mitchum und seinen Partnerinnen die Screwball-Funken fliegen (The Big Steal mit Jane Greer oder His Kind of Woman mit Jane Russell). Als Verlierer, der sich – meist wegen einer Femme fatale – der Illusion einer zweiten Chance hingibt, wurde er ikonisch: in Jacques Tourneurs Out of the Past, Otto Premingers Angel Face, Josef von Sternbergs Macao oder Nicholas Rays Rodeo-Melodram The Lusty Men. Diese Phase bei RKO, von 1945 bis 1954, war reich an Meisterwerken, und auch Mitchums Gefängnisstrafe wegen Marihuanabesitzes im Jahr 1948 tat seinem Aufstieg zum Star ­keinen Abbruch, sie trug eher zu seinem Image bei.
 
Mitchums routinierter Selbstverachtung widerspricht eine Filmo­grafie voll hintersinnig gewählter und interpretierter Rollen, vor allem in den 1950er und frühen 1960er Jahren: Sein Zusammenspiel mit Deborah Kerr (Chemie auf den ersten Blick: „Wir hätten uns auch das Telefonbuch vorlesen können“) verleiht John Hustons Heaven Knows, Mr. Allison ungeahnte Leichtigkeit, sein Aufeinandertreffen mit Marilyn Monroe umgibt Premingers River of No Return mit ­mythischem Glanz, sein mörderischer Prediger in Charles Laughtons Märchenwunder The Night of the Hunter ist selbst einer der großen Kino-Mythen. Im selben Jahr, 1955, ließ er für den kleinen Western Man With the Gun einige prominente Rollen sausen, weil er darin einen Stoff sah, dem er ein Gesicht geben konnte: eine Grundlage des mysteriösen Mitchum-Nimbus, den er als einsamer Westerner in Robert Parrishs The Wonderful Country ebenso ausbaute wie als Patriarch in Vincente Minnellis Meistermelodram Home from the Hill – in William Wellmans superber Schnee-Ballade Track of the Cat hatte er zuvor schon beide Typen erprobt.
 
Mit dem singulären Schwarzbrenner-Road-Movie Thunder Road realisierte Mitchum als Story- und Song-Autor, Produzent und Hauptdarsteller sein Herzensprojekt – „an der weißglühenden Schnittstelle von Tatsachen und Legenden“ (Richard Thompson). Nachdem er schon 1957 eine Calypso-Platte eingespielt hatte, nahm er nun auch seine „Ballad of Thunder Road“ auf. Diese nicht minder faszinierende Zweitkarriere als Sänger und Oratorien-Komponist blieb aber kurz, während Mitchum im Alterswerk „zum Buddha des amerikanischen Kinos wurde: schläfrig, massig, weise“ (Michael Althen). In der Hinsicht ist das letzte Wort zum Mitchum-Mythos der desillusionierte Gangsterfilm The Friends of Eddie Coyle (1973) von Peter Yates: Mitchum als Unterwelt-Verlierer, ein ­ver­ratener Veteran, der trotz allen Misstrauens müde wird, als er mit einem Freund betrunken vom Hockey-Spiel heimfährt. Als sich seine Augen schließen, bedeutet das den Tod.
 
Die Retrospektive findet mit Unterstützung der U.S. Embassy statt. Sie ist der Erinnerung an den im Mai 2011 verstorbenen Filmkritiker Michael Althen zugeeignet, der in den kleinen ­Gesten des großen Kinos dessen eigentümliche Schönheit zu enthüllen verstand, darunter auch die Schönheit von Robert Mitchum.