El tigre saltó y mató pero morirá ... morirá ...!!, 1973, ­Santiago Álvarez

Santiago Álvarez: Now

14. bis 19. Dezember 2011
 
Santiago Álvarez (1919-98) machte Pop Art – Agit Pop Art, um genau zu sein. Seine Filme sind wie Plakate, knallig, ­mit­reißend, aufregend und ­auf­wühlend, vor allem aber: klar. Die kubanische Revolution hatte in ihm einen Filmemacher, der ihr politisches Potential und ihre Erotik glaubwürdig in Kinobegriffe übertrug – ein Kommunismus, der so zart sein konnte wie ¡Mi hermano Fidel ...! (1977) und so zupackend-mächtig wie Now (1965, ein Lied von Lena Horne als Motor einer Attacke auf den US-Rassismus); so sezierend-­beißend in seiner Ironie wie L.B.J. (1968) und so brennend in seinem Hoffen wie El tigre saltó y mató pero morirá ... morirá ...!! (1973, Tribut an den von der chilenischen Junta im September ’73 ermordeten Sänger und Volkshelden Victor Jara).

 
Álvarez’ Kino kannte nur wenig Vergleichbares und kaum ­Vor­läufer, von denen Dziga Vertov sicherlich der wichtigste war. Manchmal hat man ihn zu Bruce Conner oder zur interventionistischen Collage-Kunst von John Heartfield in Beziehung gesetzt. Anders als die Protagonisten des Direct Cinema, die in den 60er Jahren den Dokumentarfilm-Diskurs der „ersten Welt“ prägten, glaubte Álvarez nicht an ein Kino der „objektiven“, unparteiisch wirkenden Betrachtung gesellschaftlicher Zusammenhänge. Er war am Aufbau einer neuen, hoffentlich besseren Welt beteiligt, die es zu definieren und voranzubringen galt – die Wirklichkeit seiner Filme ist die seiner Ideale, Auffassungen, Sehnsüchte. Die besten davon leben ganz aus der Montage, der Aufladung einzelner Momente, dem ­Auf­einanderprallen von Hauptwidersprüchen. Ein Strom entsteht dabei, Rhythmus, flow – es ist kein Zufall, dass die Musik eine zentrale Rolle in seinem Schaffen spielte, als ästhetisches Mittel und als Sujet selbst.
 
Die großen Dekaden des Santiago Álvarez waren die 60er und 70er Jahre. Als der Aufbau vollendet war und sich die ersten Risse im Staatsgewebe zeigten, wurden seine Filme melancholischer. Er hatte neue Maßstäbe im dokumentarischen Kino gesetzt, aber zum Zeitpunkt seines Todes war er fast vergessen. So bleibt es einer neuen Generation im 21. Jahrhundert vorbehalten, Álvarez’ Denken und Filmen wiederzuentdecken: für jetzt.
 
Die aus 15 kurzen und mittellangen Werken bestehende Schau wird ergänzt durch Travis Wilkersons filmische Hommage: „Accelerated Under-Development: In the Idiom of Santiago Alvarez“ (2003). Ein gemeinsames Projekt des Filmmuseums und der Slovenska Kinoteka in Ljubljana, mit Dank an Jurij Meden.