O Melissokomos (Der Bienenzüchter), 1986, Theo Angelopoulos

Griechische Reisen. Zum Andenken an Theo Angelopoulos, 1935-2012

27. April bis 7. Mai 2012
 
Der Schock ging tiefer als erwartet, als am 24. Jänner dieses Jahres die Nachricht kam: Theo Angelopoulos ist tot. In diesem Augenblick war zu spüren, dass die Entfremdung zwischen dem Gegenwartskino und seinem Schaffen der letzten Dekaden auch den Blick für seine originären Leistungen in den 1970er und 80er Jahren getrübt hatte.
 
Angelopoulos hat die weltpolitischen Zusammen-, Auf- und ­Umbrüche seit 1989/90 nicht verkraftet – er versuchte vergebens, ihnen künstlerisch gerecht zu werden. Sein letztes Hauptwerk ist Landschaft im Nebel (1988) – die Gewehrschüsse am Ende lesen sich heute wie Ankündigungen kommender Kriege und Kollapse. Danach verlor Angelopoulos Stück um Stück seinen Weg, und in gewisser Hinsicht auch seine Heimat: Das moderne Filmförderungs-Europa, in das er eintrat, nahm den Filmen jene innere Spannung, die seine Reisen durch Griechenland einst ausgezeichnet hatte. In den 70er und 80er Jahren war Angelopoulos ein Gigant des Weltkinos – und wie man heute erkennen kann, vermochte die Zeit seinen damaligen Werken nichts anzuhaben: Sie strahlen wie eh und je, anders vielleicht als damals, aber das macht alle Filme aus, um die es wirklich geht.

 
Theodoros Angelopoulos, geboren 1935 in Athen, gehörte zur Welle des Neuen Griechischen Kinos, die sich in den späten 60er Jahren aufzutürmen begann, dann aber von der Obristendiktatur gebrochen und marginalisiert wurde. Einige verließen das Land, andere zogen sich ins innere Exil zurück. Angelopoulos war unter jenen, die der Junta zum Trotz versuchten, ihre Filme zu machen. 1970 gab er mit Rekonstruktion, der Erforschung eines Mordfalls, sein Langfilmdebüt – ein Geniestreich, den man sogleich als Manifestwerk verstand. Sein nächster Film, Tage von ’36 (1972), wurde zu seiner Meisterprüfung: Angelopoulos erwies sich als subversiver Modernist, der an einer Ästhetik arbeitete, die anders war als alles, was man bis dato kannte.
 
Komplex choreografierte Plansequenzen bilden den Kern seines Kinos. Oft gleitet darin eine Zeit in die andere, unmerklich – so ­werden die Falten der Geschichte nachgezeichnet und Schicksalsknoten geknüpft; Leben spiegeln einander; und die Gegenwart erweist sich immer wieder als Produkt einer Vergangenheit, aus der man nichts gelernt hat. In dieser Hinsicht war Tage von ’36 sein vielleicht gewagtestes Werk: Auf dem Höhepunkt der Diktatur erzählte er eine Geschichte aus der Metaxas-Frühzeit – und zwar so, dass den zeitgenössischen Betrachtern die Parallelen zu Griechenlands faschistischen Spät-30er Jahren kaum entgehen konnten. Die Geschichte war für Angelopoulos ein Zyklus tragischer Versäumnisse, die er so vorführte, dass der Zuschauer sie verstehen und in Zukunft vermeiden konnte. Dialektik und Sinnlichkeit, Theatralik und kinematografische Reinheit fanden bei ihm in luzider und ergreifender Weise zusammen.
 
Gemäß der Gewaltigkeit seiner Sujets begann er schon früh, in Zyklen zu denken: So wurde Tage von ’36 zum Auftaktwerk seiner ersten Trilogie – jener der „Geschichte“. Auch Die Wanderschauspieler (1975) und Die Jäger (1977) gehören dazu: drei epische ­Würfe, in denen die griechische Vergangenheit des (damals) letzten halben Jahrhunderts ausgemessen wurde. Seine folgende Trilogie – jene des „Schweigens“ – besteht aus Reise nach Kythera, Der Bienenzüchter und Landschaft im Nebel. Hier machte sich Angelopoulos auf die Suche nach dem Griechenland seiner eigenen Zeit und entdeckte eine Welt der reinen Flüchtigkeit – voller Menschen, die mehr im Schatten ihrer Erinnerungen und Visionen leben als im Hier und Jetzt. Griechenland war eine Wirklichkeit wider die Gegenwart – ein Land, das alles hatte, nur kein Jetzt. Weshalb es sich darin vielleicht so gut reisen ließ, schwerelos, dem Gewicht der Geschichte zum Trotz.
 
Zwischen den beiden Trilogien realisierte Angelopoulos sein wohl größtes Werk: Der große Alexander (1980), eine Fabel über die Hoffnung und ihren Preis, situiert im politischen Chaos an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der den Menschen die Freiheit bringen will. Es ist Angelopoulos’ einziger Film, an dessen Ende – allen historischen Schlägen und menschlichen Schwächen zum Trotz – eine politische Utopie flackert, zart und zerbrechlich, lebens- und erstrebenswert. Dieses Licht suchen die Figuren in der Trilogie des Schweigens; und dieses Licht halten die Griechen der Trilogie der Geschichte für verloren. Aber es lodert, so lange, wie man sich dieser Werke erinnert.
 
Die Schau präsentiert alle Spielfilme, die Theo Angelopoulos zwischen 1970 und 1988 realisiert hat. Mit Dank an Walter Ruggle und Trigon-Film, Emmetbaden.