Xia nü (A Touch of Zen), 1971, King Hu

King Hu

25. Mai bis 17. Juni 2012
 
Hätte es King Hu nicht gegeben, wäre es um die internationale Filmgeschichts-schreibung heute anders bestellt: Ohne A Touch of Zen (1971) oder Raining in the Mountain (1979) müsste das chinesische Abenteuer- und martial arts-Kino vielleicht noch immer auf seine Anerkennung im Mainstream der Filmkritiker und -historiker warten. Anders gesagt: King Hu war der Schlüssel für die ­
Er­forschung und Exegese einer ganzen ­Populärkultur. Bruce Lee hatte sie weltweit bekannt und zu einem echten 60s/70s-Pop-Phänomen gemacht – aber erst Hus Filme verliehen ihr die höheren Weihen. Sie bestätigten für viele einen gewissen vagen Eindruck: dass es in der Kampfkunst noch um sehr viel anderes geht als um die spektakuläre Elimination möglichst vieler Gegner. So gliedert sich King Hu ein neben Sergio Leone, Mario Bava, Suzuki Seijun, Roger Corman oder Mani Ratnam: in die Reihe jener, deren Werk Schneisen schlug.

 
Dabei war Hu (1931-1997) alles andere als ein typischer Filmemacher seiner Zeit und seiner Welt: Er war ein veritabler auteur complet, der an seinen Werken fast alles selber machte, soweit es ging; dies stets bedächtig und mit einer Sorgfalt, die regelmäßig zu Problemen führte – das Kapital wollte seine Waren schneller und billiger haben, als Hu sie zu liefern beliebte. Er machte keine kleinen Filme. Selbst moderat erscheinende Werke wie Dragon Inn oder The Fate of Lee Khan, die weitgehend an einem Ort spielen, waren in jeder Hinsicht aufwändiger als die Durchschnittsfilme der jeweiligen Zeit. Aber oft auch erfolgreicher: Kassenschlager wie Come Drink With Me, Dragon Inn und The Valiant Ones ermöglichten es ihm, Budgets für überdimensionale Projekte aufzustellen – die dann fast unweigerlich zu Flops wurden. Auch deshalb, weil sie ­damals in grotesk verstümmelten, aufs Spektakel reduzierten Fassungen ins Kino kamen. A Touch of Zen etwa zirkulierte jahrelang in einer rund um die Hälfte gekürzten Version, die erst verschwand, nachdem der komplette Film 1975 in Cannes triumphierte. Legend of the Mountain hingegen ist bis heute kaum je in seiner vollen Dreistunden-Grandiosität zu erleben.
 
Dieses Denken in massiveren Maßstäben, dieser Wille zur Größe war es auch, der Hus Karriere zerstörte. Als Zögling des Meisters Li Hanxiang begann er seine Karriere in jenem Augenblick, da das Mandarin-Kino zur dominanten Kraft im Filmschaffen Hongkongs wurde. Damit ging eine Neue Welle des martial arts-Films einher, die den Kampfsport in genuin kinematografische Begriffe zu übersetzen versuchte, statt ihn nur abzubilden (wie es die meisten ­Werke der 40er und 50er Jahre taten). Und nicht zu vergessen: Es war auch die große Zeit des Opernkinos – Li Hanxiangs The Love Eterne (1963), von dem Hu nachweislich Teile inszenierte, ist ein Paradebeispiel für dieses Genre. Um 1980 hatten sich die Industrie­verhältnisse wieder umgedreht. Nun bestimmten kantonesische Produktionen das Hongkong-Kino, und Hu wurde völlig margina­lisiert. Er drehte danach zwar noch vereinzelt Filme, denen man ­freilich ansah, dass er sich mit den veränderten Umständen nicht zu arrangieren wusste, obwohl er es wollte.
 
Drei Aspekte unterscheiden Hu von allen sonstigen Meistern des martial arts-Films und machen seine Werke auch für ein bürgerliches Publikum im Westen so unmittelbar zugänglich. Zum einen: Seine Ästhetik ist fest verwurzelt in klassischen chinesischen Kunst­formen, vor allem der Malerei und dem Musiktheater – dies spürt man, ohne je eine Aufführung der Peking-Oper gesehen haben zu müssen. Zum anderen gibt es eine starke spirituelle Dimension in seinen Werken; der internationale Titel von Xia nü (A Touch of Zen) verkündet dies ganz offen. Jenseits solch kulturell spezifischer ­Momente muss aber auch Hus außerordentliche inszenatorische Meisterschaft genannt werden. Um ein Element herauszupicken: Nur Eisenstein, Kurosawa und Peckinpah haben das Wesen der Montage so tief durchdrungen wie er. Hu war ein Genie, und das kann man auf der Leinwand sehen. Auf seine eigene Weise war er wie die Helden seiner Hauptwerke: ein fahrender Ritter des lebenden Bildes. Sein jiang hu – das mythische Reich der Kampfkunstkultur – war die Scheinwelt des Kinos.
 
Die Realisierung der ersten größeren King-Hu-Retrospektive im deutschsprachigen Raum verdankt sich den Recherchen und Vorarbeiten des italienischen Filmhistorikers Lorenzo Codelli. Als Ergänzung zu den Filmen offeriert das Filmmuseum zwei Vorträge von Christoph Huber und Olaf Möller sowie – mit Dank an Annie Weich – die erste deutsche Übersetzung von Olivier Assayas’ frühem Essay über King Hu aus dem Jahr 1984.
 
Ein Projekt in Kooperation mit „50 Jahre Viennale“