Hiroshima mon amour, 1959, Alain Resnais

Alain Resnais

7. April bis 2. Mai 2008
 
Alain Resnais ist einer der bedeutendsten lebenden Regisseure – aber die Filmgeschichte hat Schwierigkeiten, sein eigenartiges Genie angemessen zu würdigen. Nicht zufällig ist der Spitzname des 85jährigen Filmemachers "Die Sphinx". Der oft paradoxen Größe seines makellos arrangierten Schaffens entspricht die rätselhaft-verspielte Zurückhaltung des Schöpfers: Obwohl all seine Filme von einer starken Autorenhandschrift zeugen, bezeichnet sie Resnais als "Auftragsarbeiten" und betont an ihnen die handwerklichen Aspekte. Höchste Experimentierlust, die Raffinesse des Artifiziellen, verbindet sich bei ihm auf verblüffende Weise mit den Traditionen und Beglückungen des Unterhaltungskinos – vom Expressionismus der 1920er Jahre bis zu den Studiomusicals aus der Blütezeit Hollywoods.
 
Es passt zum Mysterium Resnais, dass seine frühen und berühmtesten Filme – Hiroshima mon amour (1959) und L'Année dernière à Marienbad (1961) – zwar weithin als Klassiker geläufig, aber nicht unbedingt "typisch" für sein Gesamtwerk sind. Trotz einiger Resnais-Charakteristika wirken sie im Rückblick eher wie Kreuzungspunkte mit den faszinierenden Œuvres seiner jeweiligen Autoren-Partner: Marguerite Duras und Alain Robbe-Grillet. Beide Filme sind Schlüsselwerke des kinematografischen Aufbruchs in die Moderne um 1960 – und der Pariser "Rive Gauche"-Bewegung, die in grober Vereinfachung (wegen zeitlicher und örtlicher Nähe) oft der Nouvelle Vague zugeschlagen wird. Mit der ersten Resnais-Gesamtschau in Österreich zeigt das Filmmuseum – nach den Retrospektiven zu Agnès Varda, Jacques Demy und Chris Marker – nun in dichter Folge die vierte Zentralfigur der "Rive Gauche".
 
Schon in Resnais' frühem Schaffen finden sich Elemente, die für die ganze Bewegung bezeichnend sind: der Hang zum Progressiven und zum (ästhetisch) Spielerischen, die Nähe zur modernen Literatur, die spannende Kombination von fiktionalen und dokumentarischen Formen. Nach einigen "privaten" Kurzfilmen und Assistenzen beginnt sein offizielles Schaffen mit Arbeiten über andere Künstler – z.B. Van Gogh, Gauguin oder Guernica. In den folgenden essayistischen Meisterwerken wie Nuit et Brouillard (1955) sind seine bleibenden Themen schon deutlich sichtbar: Erinnerung und Tod, Verlangen und Verlust. Dies gilt auch für seine formalen Interessen: Die hypnotischen Kamerafahrten durch die "Gehirn-Architektur" der Pariser Nationalbibliothek in Toute la mémoire du monde (1956) weisen voraus auf die exquisit choreografierten Sprünge durch Raum und Zeit im Sehnsuchtsschloss von Marienbad oder im Science-Fiction-Kosmos von Je t'aime, je t'aime.
 
Die stilistische Vollendung und Innovationskraft seiner ersten Spielfilme paart sich in Resnais' ganz persönlichem Monument Muriel (1963) mit einem politischen Bewusstsein, das weite Kreise ziehen wird: mit einer Studie zum revolutionären Gewissen (La Guerre est finie), den Ciné-tracts des Mai '68 oder der Fälscherbiografie Stavisky. In der brillanten Konstruktion von Muriel spiegelt sich die Last der Erinnerung (an den Algerienkrieg) auf die Charaktere. Dieses virtuose Wechselspiel von Form und Figuren ist exemplarisch für Resnais, doch er passt das Spezifische des Stils stets den jeweiligen Projekten an. Er stellt sich selbst neue Aufgaben – wie in seinem "Doppelfilm" Smoking/No Smoking nach Alan Ayckbourn – und geht unbekümmert seinen Privatinteressen zwischen Pop und Hochkultur nach: von der satirischen Fusion aus Tragikomödie und Wissenschaftsfilm (im Meisterstück Mon oncle d'Amérique) über die filmische Erforschung angeblich "veralteter" Bühnenkunst (Mélo) bis zur interkontinentalen Comic-Maskerade I Want to Go Home – das Spektrum eines täuschend sanften Surrealisten.
 
An seinen jüngsten, kunstvoll komponierten Filmen On connaît la chanson (ein Pop-Singspiel), Pas sur la bouche (eine furiose Operettenfarce) und Cœurs (ein amouröser Reigen) fällt der doppelte Boden besonders deutlich auf: Es sind zutiefst persönliche Meditationen, perfekt "getarnt" als Unterhaltungsstücke. Nebenbei eröffnen sie uns den emotionalen Kern im Kino von Alain Resnais. Er macht im Grunde immer: stark verdunkelte Liebes- und Musikfilme.
 
Die Retrospektive findet mit Unterstützung des Institut Français de Vienne statt.