Hong Sangsoo
Neue Werke
1. Dezember 2022 bis 9. Jänner 2023
Die außergewöhnliche Produktivität des südkoreanischen Regisseurs Hong Sangsoo manifestiert sich in 28 Filmen und drei Kurzfilmen in 26 Jahren: eine Welt, in die man bei unserer zweiteiligen Retrospektive eintauchen kann. Jeder der Filme ist dabei wie ein Baustein von einem Gebäude, in dem man sich in einem Taumel aus Differenzen und Wiederholungen (und Reduktionen) alsbald wieder verliert.
1960 als Sohn einer Filmproduzentin geboren, studierte Hong Film in Seoul und den USA. Auf dem Rückweg nach Südkorea widmete er sich einer regelrechten Filmorgie in der Pariser Cinémathèque und drehte nach einigen Regiearbeiten für das Fernsehen 1996 seinen ersten Kinospielfilm, Daijiga umule pajinnal (The Day a Pig Fell Into the Well). Sein Stil ist absolut unverwechselbar, seine Filmsprache folgt ihrer eigenen Grammatik: eine Geschichte, die sich ausgehend von einem Ereignis, über das wenig bis gar nichts bekannt ist, entfaltet; eine Betonung der weiblichen Perspektive sowie der Unzulänglichkeit, Feigheit und Grausamkeit der Männer; Besäufnisse, die Wahrheiten enthüllen; statische Einstellungen von sprechenden Menschen; langsame Zooms auf die Figuren in Schlüsselmomenten von langen Plansequenzen, und sehr oft eine Zäsur, mit der eine Spiegelung/Variation der Geschichte einsetzt.
Nach ein paar experimentellen Versuchen entschied sich Hong, beeinflusst von Robert Bressons Journal d'un curé de campagne (Tagebuch eines Landpfarrers, 1950), für das Erzählkino. Jahrelang trägt er Bressons Buch Noten zum Kinematographen als Vademecum bei sich, in dem man eine Art Manifest für Hongs Filme lesen mag: "Ein kleines Sujet kann Vorwand sein für vielfältige und tiefe Kombinationen. Meide die zu weiten oder zu entfernten Sujets, wo nichts dich warnt, wenn du dich verirrst. Oder aber nimm davon nur, was in dein Leben vermengt sein könnte und aus deiner Erfahrung kommt." Denn sowohl Hongs Protagonist*innen (Regisseure, Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen, Uni-Professoren, Filmstudent*innen) als auch die Schauplätze (Seoul und andere koreanische Städte, Paris, wo er gelebt hat, Cannes und Berlin, wo er oft bei Festivals zu Gast ist) sind ihm nah.
In ihrer angenehmen und fesselnden Weise wirken seine Filme absichtlich eher leichtgewichtig. Hong vermeidet Selbstgefälligkeiten und auffällige Ambition, er baut lieber filigrane Strukturen aus scheinbar beiläufigen, spielerischen und sardonischen Beobachtungen, um Banalitäten entwirft er eine Choreografie des Alltags in all seinen Unwägbarkeiten. Hongs Filme könnten auch als eine Studie über die Idiotie wahrgenommen werden, oder, wie der Filmwissenschaftler Sulgi Lie es in seinem Buch (das am 14. Dezember im Rahmen dieser Retrospektive präsentiert wird) nennt, einen "lächerlichen Ernst".
Der zweite Teil der Retrospektive widmet sich Hongs neueren Werken. Über die Dekaden hat sich seine Artbeitsweise stark verändert. Erzählte er seinen Debütfilm 1996 noch in 271 Einstellungen, so hat So-seol-ga-ui yeong-hwa (The Novelist's Film, 2022) nur noch 30 – also circa alle 3 Minuten eine Einstellung. Auch vom als schwerfällig empfundenen Rahmen der industriellen Filmherstellung entfernte sich Hong im Lauf der Jahre durch Reduktion, insbesondere indem er sein eigener Produzent wurde (seit 2009 produziert er exklusiv mit seiner Firma Jeonwonsa) und 2008 digital zu filmen begann. Jigeumeun matgo geuttaeneun teullida (Right Now, Wrong Then, 2015) ist der erste Film mit Kim Minhee, die in fast allen jüngeren Werken mitspielt. Während sich das Team der Schauspieler*innen verfestigt, schrumpft die technische Crew, Kim Minhee übernimmt manchmal sogar die Produktion. Hong Sangsoo komponiert seit Geu-hu (The Day After, 2017) die Musik für seine Filme selbst, seit Domangchin yeoja (The Woman Who Ran, 2019) übernimmt er auch den Schnitt. Mit der Pandemie beschleunigt sich diese Schrumpfungsbewegung: Bei Walk Up (2022) zeichnet Hong Sangsoo für Regie, Drehbuch, Produktion, Kamera, Schnitt und Musik.
Mit Schwarz-Weiß-Bildern und einem selbstbewussten Minimalismus führt uns Hong in seinen jüngsten Filmen zu verschiedenen Themen. Es geht um die Jugend wie in Inteurodeoksyeon (Introduction, 2021), um den Tod, so in Pul- lip-deul (Grass, 2018), Gang-byun Hotel (Hotel by the River, 2019) und Dangsin-eolgul-apeseo (In Front of Your Face, 2021), und schließlich in The Novelist's Film und Walk Up um die Notwendigkeit oder Nicht-Notwendigkeit, "ein Werk zu machen". Diese beiden jüngsten Filme, die gleichermaßen ernst wie auch lustig sind, führen uns wieder zu der von Hong Sangsoo geliebten Malerei zurück. In der Reihe von Selbstporträts zwischen den Zeilen kann man auch die Hartnäckigkeit eines prüfenden Auges sehen, das immer wieder zu sich selbst zurückkehrt, gar nicht so weit entfernt von Rembrandts Selbstbildnissen. (Pierre-Emmanuel Finzi)
In Kooperation mit der Botschaft der Republik Korea in Wien und dem Filmmuseum München
Unsere zweiteilige Retrospektive umfasst alle Spielfilme von Hong Sangsoo außer Saenghwalui balgyeon (On the Occasion of Remembering the Turning Gate, 2004), der sich leider als nicht mehr verfügbar herausgestellt hat.
Am 14. Dezember wird in Anwesenheit von Sulgi Lie und Pierre-Emmanuel Finzi die erste Buchpublikation zu Hong Sangsoo in deutscher Sprache präsentiert: Hong Sangsoo. Das lächerliche Ernste von Sulgi Lie, erschienen in der Edition Le Studio.
Die außergewöhnliche Produktivität des südkoreanischen Regisseurs Hong Sangsoo manifestiert sich in 28 Filmen und drei Kurzfilmen in 26 Jahren: eine Welt, in die man bei unserer zweiteiligen Retrospektive eintauchen kann. Jeder der Filme ist dabei wie ein Baustein von einem Gebäude, in dem man sich in einem Taumel aus Differenzen und Wiederholungen (und Reduktionen) alsbald wieder verliert.
1960 als Sohn einer Filmproduzentin geboren, studierte Hong Film in Seoul und den USA. Auf dem Rückweg nach Südkorea widmete er sich einer regelrechten Filmorgie in der Pariser Cinémathèque und drehte nach einigen Regiearbeiten für das Fernsehen 1996 seinen ersten Kinospielfilm, Daijiga umule pajinnal (The Day a Pig Fell Into the Well). Sein Stil ist absolut unverwechselbar, seine Filmsprache folgt ihrer eigenen Grammatik: eine Geschichte, die sich ausgehend von einem Ereignis, über das wenig bis gar nichts bekannt ist, entfaltet; eine Betonung der weiblichen Perspektive sowie der Unzulänglichkeit, Feigheit und Grausamkeit der Männer; Besäufnisse, die Wahrheiten enthüllen; statische Einstellungen von sprechenden Menschen; langsame Zooms auf die Figuren in Schlüsselmomenten von langen Plansequenzen, und sehr oft eine Zäsur, mit der eine Spiegelung/Variation der Geschichte einsetzt.
Nach ein paar experimentellen Versuchen entschied sich Hong, beeinflusst von Robert Bressons Journal d'un curé de campagne (Tagebuch eines Landpfarrers, 1950), für das Erzählkino. Jahrelang trägt er Bressons Buch Noten zum Kinematographen als Vademecum bei sich, in dem man eine Art Manifest für Hongs Filme lesen mag: "Ein kleines Sujet kann Vorwand sein für vielfältige und tiefe Kombinationen. Meide die zu weiten oder zu entfernten Sujets, wo nichts dich warnt, wenn du dich verirrst. Oder aber nimm davon nur, was in dein Leben vermengt sein könnte und aus deiner Erfahrung kommt." Denn sowohl Hongs Protagonist*innen (Regisseure, Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen, Uni-Professoren, Filmstudent*innen) als auch die Schauplätze (Seoul und andere koreanische Städte, Paris, wo er gelebt hat, Cannes und Berlin, wo er oft bei Festivals zu Gast ist) sind ihm nah.
In ihrer angenehmen und fesselnden Weise wirken seine Filme absichtlich eher leichtgewichtig. Hong vermeidet Selbstgefälligkeiten und auffällige Ambition, er baut lieber filigrane Strukturen aus scheinbar beiläufigen, spielerischen und sardonischen Beobachtungen, um Banalitäten entwirft er eine Choreografie des Alltags in all seinen Unwägbarkeiten. Hongs Filme könnten auch als eine Studie über die Idiotie wahrgenommen werden, oder, wie der Filmwissenschaftler Sulgi Lie es in seinem Buch (das am 14. Dezember im Rahmen dieser Retrospektive präsentiert wird) nennt, einen "lächerlichen Ernst".
Der zweite Teil der Retrospektive widmet sich Hongs neueren Werken. Über die Dekaden hat sich seine Artbeitsweise stark verändert. Erzählte er seinen Debütfilm 1996 noch in 271 Einstellungen, so hat So-seol-ga-ui yeong-hwa (The Novelist's Film, 2022) nur noch 30 – also circa alle 3 Minuten eine Einstellung. Auch vom als schwerfällig empfundenen Rahmen der industriellen Filmherstellung entfernte sich Hong im Lauf der Jahre durch Reduktion, insbesondere indem er sein eigener Produzent wurde (seit 2009 produziert er exklusiv mit seiner Firma Jeonwonsa) und 2008 digital zu filmen begann. Jigeumeun matgo geuttaeneun teullida (Right Now, Wrong Then, 2015) ist der erste Film mit Kim Minhee, die in fast allen jüngeren Werken mitspielt. Während sich das Team der Schauspieler*innen verfestigt, schrumpft die technische Crew, Kim Minhee übernimmt manchmal sogar die Produktion. Hong Sangsoo komponiert seit Geu-hu (The Day After, 2017) die Musik für seine Filme selbst, seit Domangchin yeoja (The Woman Who Ran, 2019) übernimmt er auch den Schnitt. Mit der Pandemie beschleunigt sich diese Schrumpfungsbewegung: Bei Walk Up (2022) zeichnet Hong Sangsoo für Regie, Drehbuch, Produktion, Kamera, Schnitt und Musik.
Mit Schwarz-Weiß-Bildern und einem selbstbewussten Minimalismus führt uns Hong in seinen jüngsten Filmen zu verschiedenen Themen. Es geht um die Jugend wie in Inteurodeoksyeon (Introduction, 2021), um den Tod, so in Pul- lip-deul (Grass, 2018), Gang-byun Hotel (Hotel by the River, 2019) und Dangsin-eolgul-apeseo (In Front of Your Face, 2021), und schließlich in The Novelist's Film und Walk Up um die Notwendigkeit oder Nicht-Notwendigkeit, "ein Werk zu machen". Diese beiden jüngsten Filme, die gleichermaßen ernst wie auch lustig sind, führen uns wieder zu der von Hong Sangsoo geliebten Malerei zurück. In der Reihe von Selbstporträts zwischen den Zeilen kann man auch die Hartnäckigkeit eines prüfenden Auges sehen, das immer wieder zu sich selbst zurückkehrt, gar nicht so weit entfernt von Rembrandts Selbstbildnissen. (Pierre-Emmanuel Finzi)
In Kooperation mit der Botschaft der Republik Korea in Wien und dem Filmmuseum München
Unsere zweiteilige Retrospektive umfasst alle Spielfilme von Hong Sangsoo außer Saenghwalui balgyeon (On the Occasion of Remembering the Turning Gate, 2004), der sich leider als nicht mehr verfügbar herausgestellt hat.
Am 14. Dezember wird in Anwesenheit von Sulgi Lie und Pierre-Emmanuel Finzi die erste Buchpublikation zu Hong Sangsoo in deutscher Sprache präsentiert: Hong Sangsoo. Das lächerliche Ernste von Sulgi Lie, erschienen in der Edition Le Studio.
Zusätzliche Materialien
Fotos 2022 - Hong Sangsoo
Programm Hong Sangsoo 1 - Okt / Nov 2022