Emperor of the North Pole, 1973, Robert Aldrich

Collection on Screen:

Premieren von neuen Filmkopien und digitalen Restaurierungen

5. September bis 5. Oktober 2024
 
Die neue Saison in unserem 60. Jubiläumsjahr eröffnen wir mit einer kleinen Auswahl von Höhepunkten unter den Neuzugängen, die unsere Sammlung im vergangenen Jahr bereichert haben. Es sind Titel, die Sie hoffentlich auch in den nächsten sechzig Jahren immer wieder in unserem Unsichtbaren Kino sehen werden. Die Bandbreite ist groß. Zum einen handelt es sich um brandneue 35mm-Kopien von berühmten Klassikern, die unter der Aufsicht der besten internationalen Expert*innen speziell für uns hergestellt wurden: Erich von Stroheims Foolish Wives (1922) in der neu restaurierten längeren Fassung und Věra Chytilovás Sedmikrásky (Tausendschönchen – kein Märchen, 1965). Des Weiteren finden sich darunter gut erhaltene 35mm-Kopien von Leckerbissen, die von privaten Filmsammlern erworben, hinterlegt oder gespendet wurden: Robert Aldrichs Emperor of the North Pole (1973), Hou Hsiao-hsiens Ximeng rensheng (The Puppetmaster, 1993), Sergei Parajanovs Tini zabutykh predkiv (Schatten vergessener Ahnen, 1965) und Chuen Jik Sat Sau (Fulltime Killer, 2011) von Johnnie To Kei-fung.
 
Schließlich präsentieren wir auch noch eine Auswahl neuer digitaler Restaurierungen: Michael Hanekes Zweiteiler Lemminge (1979) sowie seine Ingeborg-Bachmann-Verfilmung Drei Wege zum See (1976) und die einzigartige Komödie Der Einzug des Rokoko ins Inselreich der Huzzis (1989) von Andreas Karner, Mara Mattuschka und Hans Werner Poschauko. Wir sammeln mit wachsender Leidenschaft und Sie werden in den kommenden Monaten noch mehr sehen.
 
Gleichzeitig soll dieser Querschnitt auch noch einmal in Erinnerung rufen, wie sich das Wesen von Filmsammlungen in Cinémathèquen über die Dekaden gewandelt hat. Die frühen Sammlungen, die Grundlage für die ersten Filmmuseen, Archive und Kinematheken der Welt wurden, waren zumeist Ausdruck persönlicher Leidenschaften der Männer und Frauen, die diese Einrichtungen gründeten oder sie leiteten. So waren Henri Langlois von der Cinémathèque française und James Card vom George Eastman Museum beide in Louise Brooks verliebt. Wegen dieser jugendlichen Schwärmerei gehörten die Filme mit dieser Schauspielerin – inszeniert von Größen wie Howard Hawks, William A. Wellman oder G.W. Pabst – zu den ersten, die heiliggesprochen, gesammelt und konserviert wurden. Iris Barry, die erste Leiterin der Filmabteilung des MoMA, hatte einen deutlich anspruchsvolleren Geschmack und bewunderte das Kino für sein Potenzial als Kunstform und sammelte zunächst Werke von D.W. Griffith, Charlie Chaplin oder Sergei Eisenstein.
 
Später, als die Nationalstaaten begannen, das Kino als kulturelles Erbe anzuerkennen und Mechanismen wie die verpflichtende Hinterlegung (der Kopien von einheimischen Produktionen, Kinofilmen usw.) eingeführt wurden, überschattete ein vielfältiger Zustrom an Filmen die kuratorischen Vorlieben und die Filmsammlungen auf der ganzen Welt wurden immer größer ... bis die fast vollständige Umstellung der Filmproduktion und -distribution auf digitale Medien die Filmarchivlandschaft im 21. Jahrhundert radikal veränderte.
 
Heute weigern sich gemeinnützige Filmarchive zu Recht, digitale Filme, die als sogenannte DCPs (Digital Cinema Packages) mit elektronischer Verschlüsselung in die Kinos kommen, zu sammeln, sodass zeitgenössische, digital entstandene Studioproduktionen nicht mehr durch jenes internationale Netzwerk von Filmarchiven bewahrt werden, durch welches einst das frühe Filmerbe vor der Nachlässigkeit derselben Studios geschützt werden konnte. Die Beschaffung einer neuen Kopie eines analog entstandenen Werks zur Bereicherung der eigenen Filmsammlung war früher ein logistisch ähnliches Unterfangen wie die Bestellung einer Filmkopie, wenn auch ein wenig teurer. Heute, wo es weltweit nur noch ein paar Dutzend funktionierende Filmlabors gibt, ist die Herstellung einer neuen Kopie ein Ereignis, das fast so selten ist wie eine Mondfinsternis.
 
Filmarchive auf der ganzen Welt – so auch das Österreichische Filmmuseum – erweitern dennoch ihre Sammlungen mit verschiedenen Mitteln und mit einem geschärften Bewusstsein dafür, wie wichtig – und einzigartig – jede Filmkopie heute ist. Wir laden Sie ein, eine neue Auswahl davon zu genießen. (Jurij Meden)