Der große Grant
W.C. Fields | Hans Moser | Totò | Louis De Funès
7. April bis 7. Mai 2017
"Wer keinen Spaß versteht, der versteht auch meistens keinen Ernst." – Hans Moser
"Das Leben ist zu kurz, um das Beste aus jedem Tag zu machen." – Totò
Anhand von vier Giganten der Kino-Komik präsentiert das Filmmuseum eine besondere Typologie des Humors. Der Österreicher Hans Moser, der Italiener Totò und der Franzose Louis de Funès wurden nicht nur die bekanntesten Komiker ihres Landes, sondern nationale Ikonen. Obwohl die meisten ihrer Filme weder für die Ewigkeit gemacht noch gedacht waren (und beim Erscheinen oft mäßige Kritiken ernteten), wurden sie dank ihrer speziellen "Spielernaturen" und bleibender Dauerpräsenz im Fernsehen unsterblich. Sie sprachen zu allen Schichten der Gesellschaft.
Verbunden ist das Trio unter anderem "weltanschaulich" und durch eine kulturelle Entwicklung: Alle kommen aus lokalen Bühnentraditionen (Moser als Wiener Volksschauspieler, Totò vom neapolitanischen avanspettacolo, De Funès von der französischen Farce), die sie – nach spätem Durchbruch – ganz filmisch auf sich zuschneiden konnten. Sie spielen meist tragikomische grumpy old men, die ihrem Ärger über gesellschaftliche Veränderungen freien Lauf lassen. Ihr Alters-Grant wurde am eigenen Leib erfahren – so wie beim US-Vorläufer W.C. Fields, der seinen Vaudeville-Ruhm erst mit dem Tonfilm zur Kino-Karriere ummünzen konnte und den großen Grant gleich in seiner alkoholseligsten und misanthropischsten Spielart präsentierte: "I am free of all prejudices. I hate everyone equally."
Dieses Komiker-Quartett macht eine Mentalitätsgeschichte des "kleinen Mannes" über fünf Dekaden sichtbar, dank einer paradoxen Mixtur aus Anarchie und Konservativismus: systemstörender Witz von Figuren, die sich als systemkonform sehen, gar als letzte Verteidiger einer überkommenen Tradition, der Herrschaft des Patriarchats. Sie kämpfen gegen die Mächtigen, nicht gegen die Macht, zersetzen die Ordnung, ohne sie anzuzweifeln, und selbst beim Erschwindeln des Lebensnotwendigsten geht es gegen das Arm-Sein, nicht gegen die Armut an sich. In diesen Jedermann-Identifikationsfiguren spiegelt sich die wachsende Prosperität des Mittelstandes: Spielte Moser bevorzugt Subalterne, meist Dienstboten oder Kleinkrämer, so erlebte Totò mit dem Nachkriegswirtschaftswunder einen gesellschaftlichen Aufstieg aus dem Subproletariat. De Funès' Starrollen der 1960 und 70er Jahre liegen dann schon im besseren Mittelstand mit Oberschichtstendenzen, bei einem Status also, den W.C. Fields gern vorgaukelte. Wo Moser den Diener spielt, gibt De Funès den Herren. Aber wie seine furiosen Ausbrüche zeigen, ist er doch ein pedantischer Kleingeist geblieben.
Noch verblüffender sind die Parallelen der vier Komiker in der Herausbildung ihrer Star-Persona – trotz verschiedenster Prägungen. So schwindelte sich W.C. Fields (William Claude Dukenfield, 1880–1946) großsprecherisch, bei allem Mangel an sozialer Mobilität, zum US-Selfmademan empor – ob als geplagter Haustyrann in den 1930ern (It's a Gift) oder in vollends surrealistischer Selbstparodie in den 40ern (Never Give a Sucker an Even Break). Hans Moser (Johann Julier, 1880–1964) war jahrelang Bühnencharge; nach der Entdeckung durch Max Reinhardt eroberte er in den 30ern auch das Kino. Frühe Rollen wie jene in Vorstadtvarieté zeigen einen seriösen "Wahrspieler" (Reinhardt) auf dem Weg zu tänzerisch-komischer Meisterschaft, formvollendet demonstriert in der Paraderolle als Anton, der Letzte – in seiner Wienerischen Art bleibt Moser dabei der gemütlichste unter den Grantlern.
Ans Eingemachte geht es dafür bei Totò (Antonio de Curtis, 1898–1967), der nach längerem Anlauf ab Mitte der 40er Jahre im Kino reüssierte. Sein Grant liegt über den Zügen des Clowns Pulcinella und betont das Universelle, nach dem Motto seines Herzensprojekts Siamo uomini o caporali? – Mensch oder Kapo, Überleben oder Ausbeutung, Widerstand oder Anpassung? Letztlich geht es grundlegend um Leben und Tod, wie die letzten Totò-Arbeiten mit Pier Paolo Pasolini Ende der 60er überwältigend demonstrieren. Zu dieser Zeit kam für Louis de Funès (Louis Germain David de Funès de Galarza, 1914–1983) erst der Durchbruch – nach Synchronsprecher-Jobs (u.a. für Totò!) und vielen Nebenrollen, z.B. als Schwarzmarkt-Metzger in La Traversée de Paris (1956). Als frenetischer Choleriker brachte er in Geniestreichen wie L'Aile ou la cuisse (Brust oder Keule) den Grant zur Explosion und setzte mit der modernen Molière-Adaption L'Avare (1980) den würdigen Schlusspunkt – von der Menschheit ungeliebt, bleibt dem Grantler nur mehr die Liebe zum Geld.
Jeder der vier hat dabei seinen eigenen, unverwechselbaren Sound entwickelt, die Sprache sinnzerstörend missbraucht, verdreht – und in Musik verwandelt: Mosers nuschelnder Singsang; Totòs surreal schwebendes, gnadenlos beharrliches Zerreden; das Beleidigungen orgelnde Grummeln von Fields; die Repetitionen bis zur absurden Dreiklang-Verkürzung ("Nein!" – "Doch!" – "Oh!") bei De Funès. Ihr ausgeprägter Bühneninstinkt führte zum virtuosen Umgang auch mit filmischen Spiel-Räumen: Sie spürten, wann sie Nahaufnahmen brauchten oder ob "erweiterte" Interaktion nötig war, mit Requisiten oder Kollegen: Totò, De Funès und besonders Moser hatten bevorzugte Film-Duettpartner, nur Fields schien es immer egal zu sein, ob sein Gegenüber ein lästiges Baby war oder ein freundliches Martiniglas ...
Mit fortschreitendem Erfolg kontrollierten sie ihre Filme berüchtigterweise nicht nur in einzelnen Szenen (durch improvisatorisches Aushebeln des "Gegners"), sondern meist zur Gänze, unterstützt von Regiehandwerkern wie Edward F. Cline, E.W. Emo, Steno oder Jean Girault. Dabei griffen sie gern auf berühmte Bühnenroutinen zurück: Moser variierte seinen Koffer-Sketch lange vor Hallo Dienstmann in vielen Filmen, Totò a colori besteht aus versammelten Varieté-Sternstunden, mit Oscar adaptierte De Funès seinen größten Theatererfolg, und Fields zog prinzipiell seine Nummernrevue ab. Doch die lustige Fassade bröckelt, sobald sich der Grant gewalttätig Bahn bricht: In der ultrabrutalen Patientenfolter durch Fields als The Dentist, beim Massenmörder-Verdachtsspiel zwischen Moser und Theo Lingen (Es schlägt 13) oder beim Killer-Rätselraten in Totò diabolicus. Eine legendäre Totò-Wortverdrehung bringt es auf den Punkt: "Jedes Ende hat seine Geduld."
"Wer keinen Spaß versteht, der versteht auch meistens keinen Ernst." – Hans Moser
"Das Leben ist zu kurz, um das Beste aus jedem Tag zu machen." – Totò
Anhand von vier Giganten der Kino-Komik präsentiert das Filmmuseum eine besondere Typologie des Humors. Der Österreicher Hans Moser, der Italiener Totò und der Franzose Louis de Funès wurden nicht nur die bekanntesten Komiker ihres Landes, sondern nationale Ikonen. Obwohl die meisten ihrer Filme weder für die Ewigkeit gemacht noch gedacht waren (und beim Erscheinen oft mäßige Kritiken ernteten), wurden sie dank ihrer speziellen "Spielernaturen" und bleibender Dauerpräsenz im Fernsehen unsterblich. Sie sprachen zu allen Schichten der Gesellschaft.
Verbunden ist das Trio unter anderem "weltanschaulich" und durch eine kulturelle Entwicklung: Alle kommen aus lokalen Bühnentraditionen (Moser als Wiener Volksschauspieler, Totò vom neapolitanischen avanspettacolo, De Funès von der französischen Farce), die sie – nach spätem Durchbruch – ganz filmisch auf sich zuschneiden konnten. Sie spielen meist tragikomische grumpy old men, die ihrem Ärger über gesellschaftliche Veränderungen freien Lauf lassen. Ihr Alters-Grant wurde am eigenen Leib erfahren – so wie beim US-Vorläufer W.C. Fields, der seinen Vaudeville-Ruhm erst mit dem Tonfilm zur Kino-Karriere ummünzen konnte und den großen Grant gleich in seiner alkoholseligsten und misanthropischsten Spielart präsentierte: "I am free of all prejudices. I hate everyone equally."
Dieses Komiker-Quartett macht eine Mentalitätsgeschichte des "kleinen Mannes" über fünf Dekaden sichtbar, dank einer paradoxen Mixtur aus Anarchie und Konservativismus: systemstörender Witz von Figuren, die sich als systemkonform sehen, gar als letzte Verteidiger einer überkommenen Tradition, der Herrschaft des Patriarchats. Sie kämpfen gegen die Mächtigen, nicht gegen die Macht, zersetzen die Ordnung, ohne sie anzuzweifeln, und selbst beim Erschwindeln des Lebensnotwendigsten geht es gegen das Arm-Sein, nicht gegen die Armut an sich. In diesen Jedermann-Identifikationsfiguren spiegelt sich die wachsende Prosperität des Mittelstandes: Spielte Moser bevorzugt Subalterne, meist Dienstboten oder Kleinkrämer, so erlebte Totò mit dem Nachkriegswirtschaftswunder einen gesellschaftlichen Aufstieg aus dem Subproletariat. De Funès' Starrollen der 1960 und 70er Jahre liegen dann schon im besseren Mittelstand mit Oberschichtstendenzen, bei einem Status also, den W.C. Fields gern vorgaukelte. Wo Moser den Diener spielt, gibt De Funès den Herren. Aber wie seine furiosen Ausbrüche zeigen, ist er doch ein pedantischer Kleingeist geblieben.
Noch verblüffender sind die Parallelen der vier Komiker in der Herausbildung ihrer Star-Persona – trotz verschiedenster Prägungen. So schwindelte sich W.C. Fields (William Claude Dukenfield, 1880–1946) großsprecherisch, bei allem Mangel an sozialer Mobilität, zum US-Selfmademan empor – ob als geplagter Haustyrann in den 1930ern (It's a Gift) oder in vollends surrealistischer Selbstparodie in den 40ern (Never Give a Sucker an Even Break). Hans Moser (Johann Julier, 1880–1964) war jahrelang Bühnencharge; nach der Entdeckung durch Max Reinhardt eroberte er in den 30ern auch das Kino. Frühe Rollen wie jene in Vorstadtvarieté zeigen einen seriösen "Wahrspieler" (Reinhardt) auf dem Weg zu tänzerisch-komischer Meisterschaft, formvollendet demonstriert in der Paraderolle als Anton, der Letzte – in seiner Wienerischen Art bleibt Moser dabei der gemütlichste unter den Grantlern.
Ans Eingemachte geht es dafür bei Totò (Antonio de Curtis, 1898–1967), der nach längerem Anlauf ab Mitte der 40er Jahre im Kino reüssierte. Sein Grant liegt über den Zügen des Clowns Pulcinella und betont das Universelle, nach dem Motto seines Herzensprojekts Siamo uomini o caporali? – Mensch oder Kapo, Überleben oder Ausbeutung, Widerstand oder Anpassung? Letztlich geht es grundlegend um Leben und Tod, wie die letzten Totò-Arbeiten mit Pier Paolo Pasolini Ende der 60er überwältigend demonstrieren. Zu dieser Zeit kam für Louis de Funès (Louis Germain David de Funès de Galarza, 1914–1983) erst der Durchbruch – nach Synchronsprecher-Jobs (u.a. für Totò!) und vielen Nebenrollen, z.B. als Schwarzmarkt-Metzger in La Traversée de Paris (1956). Als frenetischer Choleriker brachte er in Geniestreichen wie L'Aile ou la cuisse (Brust oder Keule) den Grant zur Explosion und setzte mit der modernen Molière-Adaption L'Avare (1980) den würdigen Schlusspunkt – von der Menschheit ungeliebt, bleibt dem Grantler nur mehr die Liebe zum Geld.
Jeder der vier hat dabei seinen eigenen, unverwechselbaren Sound entwickelt, die Sprache sinnzerstörend missbraucht, verdreht – und in Musik verwandelt: Mosers nuschelnder Singsang; Totòs surreal schwebendes, gnadenlos beharrliches Zerreden; das Beleidigungen orgelnde Grummeln von Fields; die Repetitionen bis zur absurden Dreiklang-Verkürzung ("Nein!" – "Doch!" – "Oh!") bei De Funès. Ihr ausgeprägter Bühneninstinkt führte zum virtuosen Umgang auch mit filmischen Spiel-Räumen: Sie spürten, wann sie Nahaufnahmen brauchten oder ob "erweiterte" Interaktion nötig war, mit Requisiten oder Kollegen: Totò, De Funès und besonders Moser hatten bevorzugte Film-Duettpartner, nur Fields schien es immer egal zu sein, ob sein Gegenüber ein lästiges Baby war oder ein freundliches Martiniglas ...
Mit fortschreitendem Erfolg kontrollierten sie ihre Filme berüchtigterweise nicht nur in einzelnen Szenen (durch improvisatorisches Aushebeln des "Gegners"), sondern meist zur Gänze, unterstützt von Regiehandwerkern wie Edward F. Cline, E.W. Emo, Steno oder Jean Girault. Dabei griffen sie gern auf berühmte Bühnenroutinen zurück: Moser variierte seinen Koffer-Sketch lange vor Hallo Dienstmann in vielen Filmen, Totò a colori besteht aus versammelten Varieté-Sternstunden, mit Oscar adaptierte De Funès seinen größten Theatererfolg, und Fields zog prinzipiell seine Nummernrevue ab. Doch die lustige Fassade bröckelt, sobald sich der Grant gewalttätig Bahn bricht: In der ultrabrutalen Patientenfolter durch Fields als The Dentist, beim Massenmörder-Verdachtsspiel zwischen Moser und Theo Lingen (Es schlägt 13) oder beim Killer-Rätselraten in Totò diabolicus. Eine legendäre Totò-Wortverdrehung bringt es auf den Punkt: "Jedes Ende hat seine Geduld."
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