Federico Fellini / Ermanno Olmi

10. Jänner bis 28. Februar 2019

Wir beginnen das neue Jahr mit einer Gegenüberstellung zweier der außergewöhnlichsten Regisseure des italienischen Kinos. Zum einen ist das Federico Fellini (1920–1993), der durch Filme wie La strada (1954) oder La dolce vita (1960) zu einem der berühmtesten Filmemacher weltweit wurde. So unverwechselbar ist Fellinis Stil, dass er sogar ein eigenes Wort hervorbrachte: "Felliniesk" – ein fantastischer (und fantasievoller) Exzess, der über das bloß Groteske hinausgeht.
 
Weniger populär, aber nicht weniger herausragend ist das Werk des kürzlich verstorbenen Ermanno Olmi (1931–2018). Bereits mit seinen ersten Spielfilmen wie Il posto und I fidanzati etablierte er sich als eine Schlüsselfigur im Aufbruch des italienischen Films der frühen 1960er und reüssierte im Verlauf seiner Karriere mit Werken wie dem Cannes-Gewinner L'albero degli zoccoli (1978) oder dem auf Joseph Roth basierenden Venedig-Sieger La leggenda del santo bevitore (1988) immer wieder international.
 
Vielleicht lag der Unterschied in der Außenwahrnehmung daran, dass Olmi (etwas verkürzt) vor allem als hintergründiger Chronist bescheidener Leben galt, während Fellinis aufsehenerregende Flamboyanz eine weithin sichtbare "Marke" auf dem Kinoweltmarkt etablierte. Doch sollte man sich vom auf den ersten Blick augenfälligen Kontrast nicht täuschen lassen. Fellinis ostentativ persönlicher, oft autobiografischer Zugang trägt maßgeblich zu seiner filmischen Autorenhandschrift bei; am deutlichsten wohl in (1963) mit Marcello Mastroianni als fellinieskem Regisseur, einem der bekanntesten Selbstbespiegelungskabinette des Kinos. Olmis Werk war ebenso persönlich, aber eben auf zurückhaltende Art: "Die Sujets meiner ersten Spielfilme fand ich in mir selbst: Ich war der Junge in Il posto und der Arbeiter in I fidanzati, der nach Sizilien ging." Olmis große historische Chronik L'albero degli zoccoli war direkt von den Erzählungen seiner Großmutter inspiriert.
 
Sowohl Fellini wie Olmi versuchten zudem auf ihre Weise einen Aufbruch aus dem dominanten Dogma des italienischen Neorealismus. Fellini hatte sich in den 1940ern als Drehbuchautor (vor allem bei Roberto Rossellini) im Umfeld dieser Strömung etabliert. Als Regisseur orientierte er sich in der folgenden Dekade rasch in eine individuellere Richtung um: Die stilisierte allegorische Erzählung von La strada wurde von Kollegen wie Luchino Visconti als "neoabstrakter" Bruch mit der Wirklichkeit abgelehnt. Der internationale Durchbruch ermöglichte Fellini schließlich ein Eintauchen in opulente Bilderbögen, die narrative Normen ignorierten, um in mythologischen, satirischen und eigenwilligen Spektakeln zu schwelgen. Vom antiken Satyricon (1969) ins gegenwärtige Roma (1972), von der vernichtenden Dekonstruktion Casanovas (1976) zur Attacke auf die seelenlose (Berlusconi-)Welt des Fernsehens (Ginger e Fred, 1986), von bittersüßen Jugenderinnerungen (Amarcord, 1973) zum verspielten Selbstporträt (Intervista, 1987): Fellini inszenierte sich dabei stets selbst als Auteur-Dompteur eines überquellenden Kino-Zirkus (in I clowns hatte er 1970 beides emblematisch gleichgesetzt).
 
Olmi hingegen verfolgte auch bei der Anverwandlung der neorealistischen Ästhetik eine Strategie der subtilen Zurücknahme, nicht nur als Autor-Regisseur, sondern oft auch als sein eigener Kameramann und Schnittmeister: Zum Kino gekommen war er in den 1950ern als Elektrizitätswerkangestellter, der für seine Firma Kurzdokumentarfilme über deren Aktivitäten und das Leben der Arbeiter drehte. Beim Übergang zum Spielfilm mit Il tempo si è fermato (1959) übersetzte er diese dokumentarischen Wurzeln durch Einsatz von Laienschaupielern sowie von Originalschauplätzen in einen von allen erzählerischen und sentimentalen Kompromissen bereinigten "Neo-Neorealismus" mit unaufdringlicher spiritueller Tiefenwirkung. In der exakten Zeichnung der Lebenswelten konfrontierte er den humanistischen Zugang vorurteilsfrei mit der Erfahrung einer neuen (Wirtschaftswunder-)Epoche und der einhergehenden Entfremdung, etwa im kafkaesken Büroalltag von Il posto.
 
Es wäre beinahe zum Zusammenschluss von Olmi und Fellini gekommen: Die von Olmi mit dem späteren Fellini-Biografen Tullio Kezich 1961 gegründete unabhängige Produktionsfirma 22 dicembre sollte jungen Regisseuren künstlerische Freiheit garantieren – Fellini, der ähnliche Ziele verfolgte, erwog einzusteigen, schlug dann aber doch eigene Pfade ein. Auch Olmi orientierte sich nach dem Scheitern dieses innovativen, aber kurzlebigen Projekts um: Mit dem nahezu ethnografischen Papst-Biopic E venne un uomo (1965) versuchte er sich erstmals an der Großproduktion und der Arbeit mit Schauspielstars.
 
Auch die katholische Prägung eint Fellini und Olmi: Wo sich Fellini in seinen Filmen zwiespältig daran abarbeitete (manche wurden als tief religiös, andere als blasphemisch wahrgenommen), folgte Olmi seiner christlichen Überzeugung, was seine Außenseiterposition verstärkte – zu katholisch für die radikalen Linken, zu progressiv für die orthodoxen Katholiken. Letztlich bleibt sein Werk so unvereinnahmbar und vielschichtig wie das Fellinis: Ob Olmi einen asiatischen Piratenfilm mit Bud Spencer dreht (Cantando dietro i paraventi, 2003) oder in Zeiten der Flüchtlingskrisen die Rückbesinnung auf menschliche Nächstenliebe fordert (Il villaggio di cartone, 2011) – es sind stets die Filme eines freien Mannes.
 
Die Kopien von Ermanno Olmis Kurzfilmen sind zum Zeitpunkt der Retrospektive nicht verfügbar und werden zu einem späteren Zeitpunkt als ein "Da capo" präsentiert werden.
 
Mit besonderem Dank an unseren Hauptpartner Cineteca Nazionale und das Istituto Italiano di Cultura di Vienna.