Rokudenashi (Good for Nothing, 1960, Yoshida Kijū), Courtesy The Japan Foundation. All Rights Reserved

Yoshida Kijū
Eros, Anarchie, Anti-Cinema

21. Oktober bis 23. November 2022
 

Yoshida Kijū (*1933, auch bekannt als Yoshida Yoshishige gemäß der ursprünglichen Aussprache seines Vornamens) hat eine einzigartige wie einflussreiche Form des politischen Kunstkinos entwickelt. Als innovativer Stilist und Denker über filmische Form und Bedeutung war Yoshida maßgeblich an der Erneuerung des japanischen Kinos beteiligt. Die atemberaubende Schönheit und philosophische Tiefe seiner Hauptwerke führten zu Vergleichen mit Zeitgenossen wie Teshigahara Hiroshi und Michelangelo Antonioni, doch ging Yoshidas Streben nach einer kompromisslosen avantgardistischen Vision noch weiter.
 
Ein Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch seine Filmografie: Gleißendes Licht, oft hervorgebracht durch das dramatische Öffnen einer Tür oder eines Fensters, erleuchtet die Leinwand als spiegelnde Oberfläche und droht bisweilen das gesamte Bild auszulöschen. In diesen Momenten zwischen Bild und Nicht-Bild reinen Lichts erinnert Yoshida das Publikum daran, dass es in einem dunklen Kinosaal sitzt, den unvorhergesehenen Aspekten der menschlichen Wahrnehmung ausgeliefert – was Yoshida im gleichnamigen Essay den "Anarchismus des Sehens" nennt.
 
Zum Kino kam er durch eine Rekrutierungskampagne der Produktionsfirma Shōchiku, als er sein Studium abbrechen musste, um seine Familie zu unterstützen. Seine Leidenschaft galt bis dahin dem französischen Existenzialismus in Philosophie und Literatur, was den präzise-analytischen Stil seiner Filme und seiner Schriften zum Kino als Medium, Kunstform und Denkweise beeinflusste. Die Lehrjahre absolvierte Yoshida beim Erfolgsregisseur Kinoshita Keisuke, prägend wurde die kurze, aber innige Bekanntschaft mit einer weiteren Shōchiku-Koryphäe, Ozu Yasujirō, den er im Buch Ozu's Anti-Cinema (1998) als radikalen Visionär und Gleichgesinnten wiederentdeckte.
 
Neben Ōshima Nagisa und Shinoda Masahiro wurde Yoshida zum Hauptvertreter der von Shōchiku ausgerufenen nūberu bāgu (Nouvelle Vague) und entwickelte einen unkonventionellen Zugang zum Bild und Geschichtenerzählen, der immer radikaler werden sollte. Sein der französischen Nouvelle Vague nahestehendes, nihilistisches Debüt Good for Nothing und die schwarze Unternehmenskultur-Satire Blood Is Dry offenbarten schon 1960 Yoshidas Talent für gewagte, oft berauschende Mise en Scène und seine Faszination für Figuren mit einem unstillbaren, potenziell selbstzerstörerischen und letztlich obskuren Antrieb.
 
Yoshidas Durchbruch kam mit der Einladung der Schauspielerin und Produzentin Okada Mariko, bei der Großproduktion Akitsu Springs (1962) Regie zu führen: Die üppige Weltkriegsromanze hatte konventionelle Züge, war aber für Okada und Yoshida, der traumatische Kindheitserfahrungen verarbeitete, ein zutiefst persönliches Werk, das sie als Paar und lebenslange Kreativpartner zusammenschweißte. Der Erfolg des Films ermöglichte den Schritt in die Unabhängigkeit mit enigmatischen, feministisch angehauchten Werken um Okada als vieldeutige Protagonistin in Opposition zu den gesellschaftlichen und sexuellen Zwängen Japans. In nur drei Jahren entstanden so sechs designierte "Antimelodramen": Vom psychoanalytisch-inzestuös geladenen Fiebertraum A Story Written with Water (1965) über die noch gewagtere Dreiecksgeschichte Woman of the Lake (1966) bis zum selten gezeigten Schlusspunkt Farewell to the Summer Light (1968) perfektionierte Yoshida den ausdrucksstarken Einsatz von Landschaft und Zeit zur Erforschung des unausgesprochenen Innenlebens seiner Charaktere.
 
Die Antimelodramen definierten Yoshidas ausgereiften Stil: architektonische Inszenierung, abstrakte Figuren, komplex mäandernde Erzählungen, in denen entscheidende Handlungen und Details verborgen bleiben, und pointiert im Zentrum die schwierige Stellung der Frau in der japanischen Gesellschaft. Diese Schlüsselelemente kulminierten im Opus magnum, der gefeierten Revolutionstrilogie Eros + Massacre (1969), Heroic Purgatory (1970) und Coup d'État (1973), die mit hypnotischer visueller Schönheit und formaler Komplexität waghalsig wandelbare Untersuchungen politischer Extreme in Japan lieferte: Anarchismus, Kommunismus und Nationalismus.
 
Eros + Massacre vertiefte die weibliche Perspektive mit einer kühnen Verschmelzung zweier Epochen: In der Gegenwart recherchiert eine leidenschaftliche Aktivistin über den 1923 ermordeten, umstrittenen Anarchisten und Verfechter der "freien Liebe" Ōsugi Sakae, dem die Parallelhandlung gewidmet ist. Mit diesem Film fing Yoshida den flüchtigen Optimismus Japans nach 1968 ein – beflügelt von der Möglichkeit zum Wandel und zur schrittweisen Versöhnung mit der Vergangenheit –, so nahm die Trilogie mit Heroic Purgatory eine düster-paranoide Wendung. In der halluzinatorischen Erzählung über einen Atomingenieur und ehemaligen Radikalen, der widerwillig zum Staatsdiener wird, war die Möglichkeit einer solchen Versöhnung schon verschwunden, mit Coup d'État folgte ein dichtes, klaustrophobisches Porträt des rechtspopulistischen Denkers Kita Ikki, der 1937 für seine Verwicklung in zwei Putschversuche hingerichtet wurde. Als karger Abschluss der monumentalen Trilogie war der Film auch das Ende von Yoshidas brillanten, bewusst schwierigen Anatomien extremer politischer Ideologien.
 
Nach dreizehnjähriger Pause begann Yoshida ein Spätwerk von bemerkenswerter stilistischer Zurückhaltung, beispielhaft dafür ist sein letzter Spielfilm Women in the Mirror (2002) über Hiroshima und generationenübergreifende Traumata. Yoshida verschreibt sich darin dem "Antikino", das seine Schriften zu Ozu erläutern: Der oberflächliche Schein von Gleichgewicht und Harmonie führt einen regen Dialog mit der dunkleren Logik von Chaos und Ernüchterung. (Haden Guest)
 
Eine gemeinsame Retrospektive der Viennale und des Österreichischen Filmmuseums in Kooperation mit dem National Film Archive of Japan
 
Während der Viennale im Filmmuseum gelten gesonderte Ticketregelungen.

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