Topophilia, 2015, Peter Bo Rappmund

Anthropozän. Dialoge zwischen Wissenschaft und Kunst

10. bis 13. Oktober 2024

Um den Begriff des Anthropozän hat sich in Wissenschaft und Öffentlichkeit seit der Jahrtausendwende ein kontroverser Diskurs entwickelt. Der Nobelpreisträger und Atmosphärenchemiker Paul Crutzen und der Biologe Eugene F. Stoermer führten den Begriff vor 18 Jahren ein, um in umweltwissenschaftlichen Diskussionen die gravierenden Auswirkungen des menschlich beeinflussten ("anthropogenen") Klimawandels im planetarischen Maßstab zu bezeichnen. Mit der Namenswahl sollte signalisiert werden, dass das Holozän – die seit fast zwölf Jahrtausenden andauernde Warmzeit mit relativ stabilen Umweltbedingungen, durch die die Entstehung und Entwicklung der menschlichen Zivilisation überhaupt erst ermöglicht wurde – zu Ende ist. Als neue geochronologische Epoche definiert das Anthropozän die Beziehung des Menschen zum Planeten in ökologischer Hinsicht neu, mit Konsequenzen, die auch historischer, sozialer und ethischer Natur sind. Der Mensch sei, so die Idee, zu einer geologischen Kraft geworden.
 
Ob hier tatsächlich ein neues Erdzeitalter definiert werden kann oder soll, ist jedoch gerade in der Geologie umstritten. Geologische Zeitalter werden durch drastische Änderungen in den geologischen Ablagerungen definiert, wie zum Beispiel das Ende der Kreidezeit (und Beginn des Paläogens, früher als Tertiär beschrieben) vor 66 Millionen Jahren, das durch die Ablagerungen eines Asteroideneinschlages, der erhebliche Umweltänderungen ausgelöst hat, angezeigt wird. Dass, wie von einer Gruppe von Forscher*innen vorgeschlagen, radioaktive Ablagerungen der Atombombenexplosionen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts den Beginn des Anthropozäns definieren, wurde mittlerweile von der zuständigen internationalen geowissenschaftlichen Kommission abgelehnt.
 
Die Diskussion des Anthropozän-Begriffs blieb jedoch nicht Sache der Naturwissenschaften alleine, denn sie entfaltet eine bedeutende gesellschaftliche Kraft. So wird die Idee des Anthropozäns auch in den Geisteswissenschaften und der Kunst diskutiert. Unser Filmprogramm – entstanden aus der Zusammenarbeit zwischen dem Filmmuseum und der Geowissenschaftlichen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – stellt einen Diskurs zwischen den Naturwissenschaften und dem künstlerischen Film als einer eigenständigen "Form des Denkens" her. Wie beschreiben und verhandeln Künstlerinnen und Künstler die Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels?
 
Im Zentrum unserer Filmauswahl stehen von Menschen veränderte geologische Formationen, beispielsweise Flüsse (Study of a River von Peter Hutton und Winterlight von Larry Jordan), Seen (13 Lakes von James Benning) oder die Ölsandlagerstätten Kanadas (Petropolis von Peter Mettler und Deep Weather von Ursula Biemann). Wie menschliche Interaktion Naturlandschaften verändert und damit auch ästhetisch umgestaltet zeigen Filme wie Bruce Conners Atomtest-Monumentalfilm Crossroads, James Bennings California Trilogy oder Peter Bo Rappmunds Land Art-Studie einer Pipeline (Topophilia).
 
Gemein ist den ausgewählten Werken nicht nur, dass sie Landschaften aufzeichnen, die es ohne Einwirkung des Menschen nicht gäbe. Die Frage ist vielmehr: welche Visionen einer vom Menschen unwiederbringlich veränderten Welt lassen sich mit den Mitteln des künstlerischen Films evozieren? Im Sinne eines Dialogs zwischen Kunst und Wissenschaft werden die Filmvorführungen durch Vorträge und Gespräche von und mit Wissenschafter*innen verschiedenster Disziplinen, Künstler*innen und Filmschaffenden diskursiv erweitert. (Christian Köberl/Michael Loebenstein)
 
Eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und des Österreichischen Filmmuseums

Bei der Auftaktveranstaltung am 10. Oktober 2024 sprechen Michael Wagreich und Sebastian Klinger; Einführungen und Gespräche mit Christian Köberl, Lena Violetta Leitner, James Benning und Michael Loebenstein ergänzen außerdem das Filmprogramm.
Zusätzliche Materialien