Kulturerbe digital - Ashley Hans Scheirl

Digitizing Punk

Alles, was dazwischen liegt, was nicht eindeutig das eine oder andere ist, was vielleicht beides ist oder vielleicht nichts ist, kann zwar schwierig, aber auch faszinierend sein. Ashley Hans Scheirls Filme, größtenteils auf Super 8 gedreht, verkörpern genau dieses "Dazwischen". Sie sind Filme, ja, aber sie sind auch Aktion, sind auch Malerei. Und auch die Künstlerperson Ashley Hans Scheirl (*1956) selbst fällt nicht eindeutig in eine Kategorie. Ein Changieren zwischen künstlerischen Gattungen, Film, Performance, Musik, Malerei, Installation, ebenso wie ein Changieren zwischen den Geschlechtern, ohne sich jemals festlegen zu wollen (warum auch?).
 
Im Zuge des Förderprogramms Kulturerbe digital, welches das Ziel verfolgt, österreichisches Kulturerbe zu bewahren und zugänglich zu machen, hat das Filmmuseum eine Auswahl an insgesamt 47 Filmen von Ashley Hans Scheirl digitalisiert und restauriert. Viele waren zuvor nur als analoge Originale vorhanden und wurden nun digital langzeitgesichert und erstmals für eine breite Öffentlichkeit erschlossen. Der Großteil davon im Super 8-Format, es findet sich jedoch auch 16mm- und Videomaterial darunter. Die meisten Materialien sind Teil der Sammlung des Filmmuseums, einige kommen auch von der Kontakt Sammlung der Erste Stiftung und von sixpackfilm. Unter den ausgewählten Titeln finden sich sowohl vielgesehene und vielbesprochene Werke wie Scheirls experimenteller Science-Fiction-Spielfilm über den titelgebenden genderfluiden Cyborg Dandy Dust, als auch bisher nie zuvor gezeigte Filme wie Hotel, welcher in Zusammenarbeit mit der Performancekünstlerin, Video-Pionierin und Organisatorin des alternativen Kunstraums "Wednesday's A's", Arleen Schloss, entstanden ist. Generell sind die Filme Scheirls geprägt von vielfältigen Kollaborationen mit anderen, teils queeren, Künstler*innen. Namen wie Norbert Gmeindl, Ursula Pürrer, Dietmar Schipek oder Jewels/James Barker scheinen immer wieder in den Credits auf.
 

Welchen Umgang gibt es in der Archivierung, Digitalisierung und Restaurierung mit solchen Filmen die sich selbst nicht zu ernst nehmen und gleichzeitig eine starke Haltung vertreten, die scheinbar mit einer amateurhaften Attitüde entstanden sind, aber dennoch eine ganz und gar eigene Ästhetik haben, die in der Mitte von öffentlich/offiziell und privat zu verorten sind, die gestaged und improvisiert sind, die eben dazwischen liegen? 
 
Ein erster Ansatz ist es, ihren (Entstehungs-)Kontext zu verstehen. Wie, wo, von und mit wem, für welches Publikum, mit welchen Mitteln, mit welcher Intention wurden sie gemacht? Recherche und im Idealfall Gespräche mit der Künstlerin können helfen, diese Fragen zu klären, und in Folge Ansätze für den Umgang mit den Werken zu gewinnen. Im Fall der Digitalisierung von Scheirl's Filmen für Kulturerbe digital konnte ein Testscreening in Anwesenheit der Künstlerin viele Erkenntnisse bringen. Im Gespräch wurde ihre Haltung den Filmen gegenüber und was in der digitalen Nachbearbeitung mit ihnen "geschehen" soll, deutlich.
 
Ein Beispiel: Was ist zu tun, wenn manche der Filme unübersehbar mit Schimmel überzogen sind? Eine Möglichkeit wäre, zu versuchen, fein säuberlich mit digitalen Tools* die Spuren des Pilzes zu entfernen, um wieder optimale Sicht auf das darunter liegende Bild zu bekommen. Ein häufiges Vorgehen – nicht jedoch im Fall von Scheirl. "Schaut gut aus", sagte sie bei einem Testscreening der digitalisierten Filme im Kino auf besagten Schimmel angesprochen. Sie sei eben nicht gut mit den Filmen umgegangen, habe sie nicht gut gelagert, es mache nichts, sie seien eben PunkDer Schimmel gehört also zu der Geschichte der Filme dazu, er ist eine Spur ihres LebensUnd so wie die Filme leben (und nun sogar ein neues Leben im Digitalen bekommen), lebt auch der Schimmel auf ihnen. Abgesehen davon, dass er ein Teil der materiellen Historizität des Filmes ist, gibt er, zumindest für manche Augen, ein beachtenswert schönes Bild ab. Die Natur tut das ihre zu dem Film hinzu, verziert ihn, indem sie ihn gleichzeitig verzehrt.
 

Übereinander geklebte Magnettonspuren
Handbemalter Film (Rest von Tigerin)
Schimmel

Unsere Digitalisierung mit dazugehöriger Restaurierung versuchte in Folge also eher einen speziellen Moment im Leben der Filme abzubilden, als einen vergangenen zu simulieren (was bei anderen Restaurierungs- bzw. Digitalisierungsprojekten ja durchaus seine Berechtigung hat).
 
Auch der teils "unsaubere" Ton ist auf die Punk-Attitüde der Filmemacherin und ihrer Kollaborateure zurückzuführen. Da wurde oftmals Ton aus dem Radio, Fernsehen oder von Kassetten aufgezeichnet. Manchmal wurden versehentlich zwei Magnettonspuren übereinander geklebt. Einige Soundtracks stammen von Improvisationssessions von zwei Musikgruppen, denen Scheirl zeitweise angehörte: "8 oder 9" und "Ungünstige Vorzeichen". In anna alpha nacht stammt die Musik von Scheirl alleine, die auf einem verstimmten Hackbrett musiziert. Dementsprechend ist es nur logisch, dass der Ton dissonant ist.
 
Gebrauchsspuren wie Schrammen und Kratzer wurden bei der Digitalisierung bewusst nicht entfernt. Auch diese sind als Teil der Filme anzusehen: Kopien von den meisten Filmen wurden erst Jahre nach ihrer Entstehung angefertigt, was bedeutet, dass zunächst die Originale projiziert wurden. Das führte unweigerlich zu Abnutzungen, die in diesem Fall nicht kaschiert wurden.
 
Einige von Ashley Hans Scheirls Filmen waren bisher nur einem kleinen Publikum bekannt und wurden jahrelang nicht gezeigt, teils sogar nie gezeigt. Es gab noch keine Digitalisate von ihnen, außerdem waren teilweise zuvor nicht einmal Kopien oder Videos angefertigt worden. Des Weiteren können Formate wie Super 8 nur mehr an wenigen Orten (wie dem Filmmuseum) formatgetreu präsentiert werden, was den Zugang noch weiter erschwert. Die Digitalisierung ermöglicht nun auf der einen Seite eine Langzeitsicherung dieser aufgrund ihrer Produktionsweise und ihres Status gefährdeten Werke und trägt auf der anderen Seite wesentlich zu einem erleichterten Zugang für eine breitere Öffentlichkeit bei.
 
Die einzelnen Filme können teilweise über unsere Website eingesehen werden, die Filme werden in Zukunft auch als Programm im Filmmuseum zu sehen sein. (Magdalena Steffan)
  
*Sobald der Schimmel sich in die Gelatine gefressen hat, ist der Schaden analog nicht mehr zu beheben.

Magdalena Steffan war von September 2023 bis Januar 2024 als Praktikantin in der Filmsammlung des Filmmuseums auch an der Digitalisierung und digitalen Restaurierung der Filme von Ashley Hans Scheirl im Rahmen vom Förderprogramm Kulturerbe digital beteiligt. Anschließend hat sie ihre Perspektive auf das Projekt und auf den Arbeitsprozess der Digitalisierung und Restaurierung beschrieben.