Otto Preminger, Billy Strayhorn und Duke Ellington am Set von

Partly Preminger
Filme von Otto Preminger und anderen

12. Februar bis 3. März 2016

 

„Zwei Dinge sind hier großartig: die einzigartige Schönheit dieses Landes und die unvorstellbare Organisation der Filmfabrikation. Es ist ein unvorstellbar lautloses Ineinandergreifen von tausenden kleinen Rädern, eine technische Vollendung bis ins kleinste Detail, dabei alles ohne Geschrei, ohne Pathos. Die künstlerische Seite ist schon fragwürdiger. Nur sehr wenige können hier wirklich das machen, was sie wollen. Ob ich zu diesen gehören werde, ist bis jetzt noch nicht entschieden.“ (Otto Preminger an Ferdinand Bruckner, 23. April 1936)

 
Unter den zahlreichen altösterreichischen Emigranten, die in Hollywood Filmgeschichte schrieben, wurde Otto Preminger (1905–1986) einer der bekanntesten – eine Art Trademark. Beginnend mit dem Film-Noir-Klassiker Laura etablierte er sich bei 20th Century Fox als Regisseur komplexer Krimis (Fallen Angel, Whirlpool) und reifer, avancierter Melodramen wie dem bis heute ob seiner Modernität verblüffenden Daisy Kenyon, bevor er 1953 seine eigene, unabhängige Produktionsfirma gründete. Dieser Schritt leitete eine zweite, ebenso fruchtbare Werkphase ein. Premingers offene Opposition zum production code Hollywoods gab die Stoßrichtung für „relevante“, Aufsehen erregende und zeitgemäße Stoffe vor: „I believe strongly that people must have the courage to live in their own period.“

 
An Otto Preminger Production versprach in den 1950er und 60er Jahren epische Ambitionen, oft auf der Grundlage dicker Bestseller. Mit bestechender Detailfülle und der vielzitierten Preminger’schen „Objektivität“ lotete etwa Anatomy of a Murder einen sensationellen, verzwickten Vergewaltigungs-Gerichtsprozess aus (und fragte dahinter prinzipiell nach dem Wesen von Wahrheit und Gerechtigkeit), Exodus die Gründung des Staates Israel oder Advise & Consent das intrigante Innenleben der US-Politik.

 
Der Produzent-Regisseur dieser Filme trat als imagebewusster Impresario auf und setzte sich, medienwirksam wie Alfred Hitchcock, als populäre (Kunst-)Figur in Szene: Beide führten persönlich durch Trailer ihrer Filme. Der 1935 emigrierte Jude und Nazi-Feind Preminger stilisierte sich allerdings eher nach dem Stroheim-Modell des teutonischen „man you love to hate“ – mit markanter Glatze und berüchtigt für seine tyrannischen Züge. Als versierter showman schnürte er mithilfe der genialen Vorspänne und Filmplakate von Saul Bass exakt durchkonzipierte Produktions- und Publicity-Pakete. Und als selbsterklärte Galionsfigur eines Aufbruchs in die künstlerische Autonomie geriet er zeitgleich zum Idealfall für die in Frankreich Furore machende politique des auteurs. Die Pariser MacMahonisten etwa erklärten ihn neben Raoul Walsh, Fritz Lang und Joseph Losey zu einem der „vier Asse“ des Kinos.

 
Mit der Schau Partly Preminger macht das Filmmuseum den Vorschlag, Premingers Werk aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Nicht im Sinne des mythischen Künstlerbegriffs vom Kino-Autor, der jedem „seiner“ Industrieprodukte einen unverwechselbaren Stempel aufdrückt – partly truth and partly fiction, wie alle Mythen –, sondern eher wie den Rundgang durch ein Haus in Hollywood: Dessen Zimmer verraten mal mehr, mal weniger über den Bauherrn (manchmal buchstäblich: Die Gemälde in seinen Filmen belegen das Auge des Kunstsammlers Preminger), sind aber ebenso geprägt von anderen Faktoren und anderen Gestaltern. 15 ausgewählte Regiearbeiten Premingers decken zu gleichen Teilen seine Zeit als Studio-Angestellter und selbständiger Filmemacher ab, dazwischen liegt River of No Return (1954) als Scharnier: eine letzte Fox-Auftragsarbeit nach der Gründung seiner Produktionsfirma – und ein Western in Technicolor und CinemaScope, der vor allem als Marilyn-Monroe-Film berühmt ist.

 
Bestimmte Schauspieler (die premingerianischsten: Dana Andrews und Gene Tierney) durchwirken die Filme ebenso wie popkulturelle Kontexte, Studiostile, aktuelle Genre-Motive und wiederkehrende Mitarbeiter. Premingers Vorliebe für komplizierte, lange takes und ausgewogene Komposition der Figuren im Raum (in Anatomy of a Murder fast programmatisch zusammenlaufend) wird oft als essentieller Ausdruck sowohl der distanziert-objektiven Weltsicht des ausgebildeten Juristen als auch der Ensembleführungskunst des erfolgreichen Theaterregisseurs und Ex-Josefstadt-Direktors gesehen. Aber es war auch ein im Noir-Kontext erarbeiteter Verdienst von Kameramann Joseph LaShelle, Premingers wichtigem Wegbegleiter bei 20th Century Fox; in seiner postklassischen Epoche lieferten Sam Leavitt an der (Scope-)Kamera oder Wendell Mayes als Drehbuchautor ebenso entscheidende Beiträge.

 
Als würde man durch die Fenster des Preminger-Hauses Blicke auf benachbarte Wohnungen werfen, bietet die Schau einen „Kontextfilm“ zu jedem der 15 Werke des Regisseurs – und lädt dazu ein, ihre jeweiligen Qualitäten nicht nur entlang des Auteur-Prinzips zu überprüfen, sondern auch über andere Verwandtschaftsverhältnisse. Vom schlichten Fall des Remakes (The 13th Letter nach Le Corbeau) über Produktionszusammenhänge (RKO-Noir im Jahr 1952: Angel Face und The Narrow Margin) bis hin zu Fragen der Zeitgeschichtsschreibung (Exodus und Israels Pionier-Produktion Hill 24 Doesn’t Answer). Von erzählerischen Motiven (der „homme fatal“ in Fallen Angel und Raw Deal) über die Signatur einer Schauspielerin (Joan Crawford, die „starke Frau“ von 1945, in Mildred Pierce und Daisy Kenyon, oder Jean Seberg, die aufbrechende Jugend von 1960, in Bonjour Tristesse und À bout de souffle vom frühen Preminger-Bewunderer Jean-Luc Godard) bis hin zur stupenden Selbst-Neuerfindung alternder Monumentalfilmgrößen mit kleinen, wendigen Produktionen im England der Swinging Sixties (Bunny Lake Is Missing und The Collector). Eine Kreuzfahrt durchs Erzählkino von 1943 bis 1973, mit Otto Preminger als Reiseführer.