Michail Kalik
Die Rückkehr des Windes
1. bis 15. März 2019
Der sowjetisch-jüdische Filmemacher Michail Kalik (1927–2017) schuf zwischen 1961 und 1968 drei Filme, die ob ihrer Originalität, Modernität und ihrer tiefempfundenen Menschlichkeit zu den künstlerischen Höhepunkten des Tauwetterkinos, der sowjetischen Filmgeschichte überhaupt gehören. Er entstammte der gleichen Generation wie Andrej Tarkovskij, Sergej Paradžanov oder Marlen Chuciev, doch sein Name geriet in Vergessenheit.
Die nähere Betrachtung seines bei aller Vielfalt der Ausdrucksformen beeindruckend konzisen Werkes offenbart einen selbstbewusst und raffiniert mit allen Möglichkeiten des Kinos arbeitenden, innovativen Filmkünstler. Schon von seinem ersten, noch in Co-Regie gedrehten Film Die Jugend unserer Väter (1958) an widersetzt er sich der linearen Narration und wählt eine episodenhafte, elliptische Erzählstruktur, in der Ereignisse oder Vorahnungen oft durch Dokumentaraufnahmen illustriert werden und welche die Aufmerksamkeit nicht auf einen zentralen Charakter, sondern ein ganzes Panoptikum an Figuren, Schauplätzen und Gesellschaftsschichten lenkt. Als einer der wenigen sowjetisch-jüdischen Regisseure konnte er dabei explizit jüdische Charaktere und ihr Idiom porträtieren.
In seinen drei Meisterwerken Der Sonne entgegen (1961), Auf Wiedersehen, Jungs (1964) und Lieben ... (1968) werden die einzelnen Szenen insbesondere von der Musik zu einem dichten Gesamtgefüge verknüpft. Mit keinem künstlerischen Partner hat Kalik so intensiv zusammengearbeitet wie mit dem Komponisten Mikaėl Tariverdijev, den er noch als VGIK-Student kennengelernt und zum Film geholt hatte und der sich zu einem der wichtigsten sowjetischen Filmmusiker entwickeln sollte. Gemeinsam erarbeiteten sie Szenen, Stimmungen, filmische Dynamik. Für Der Sonne entgegen schuf Tariverdijev den wohl ersten Jazz-Soundtrack der sowjetischen Filmgeschichte, während der von ihm selbst zärtlich-nonchalant hingebrummten Titelmelodie von Auf Wiedersehen, Jungs ein lebendig-performatives Element innewohnt.
Kalik kam 1927 als Sohn eines bekannten Theaterkünstlers in Moskau zur Welt. Nach einem Studium an der Theaterschule GITIS wurde er als einer der ersten jüdischen Studenten überhaupt auf Fürsprache von Michail Romm 1949 an der staatlichen Filmhochschule VGIK aufgenommen. Kurz nach Beginn des Studiums, auf dem Höhepunkt von Stalins antijüdischer Politik, wurde er verhaftet und verbrachte fast zwei Jahre im Gulag – seine "dritte Universität", wie er später sagte. Er schaffte die Rückkehr an die VGIK und fand seine künstlerische Heimat bald darauf in den Studios der Moldova-Film. Nach Zensurproblemen um Lieben ... sowie infolge der zunehmend antijüdischen Stimmung in Sowjetrussland emigrierte Kalik mitsamt seiner Familie 1971 nach Israel, wo er sich Moshe nannte. Sein dortiger Spielfilm Drei und eins (1974) war ein heftiger Misserfolg. Dies wie auch Kaliks Unwille, sich in die neue, technisch gegenüber der UdSSR unterlegene Produktionslandschaft einzufügen, führte dazu, dass er nur noch einen einzigen Langfilm realisierte, Die Rückkehr des Windes (1991), in dessen Reichtum an Empfindung und inszenatorischer Virtuosität sich ein letztes Mal zeigen sollte, was das Kino an Kalik verloren und gewonnen hat. (Gary Vanisian)
Die Retrospektive findet in Kooperation mit dem Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. statt, dessen Programmgestalter Gary Vanisian zu ausgewählten Filmen Einführungen halten wird.
Mit besonderem Dank an den russischen Gosfilmofond und das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres/Kulturforum Moskau.
Der sowjetisch-jüdische Filmemacher Michail Kalik (1927–2017) schuf zwischen 1961 und 1968 drei Filme, die ob ihrer Originalität, Modernität und ihrer tiefempfundenen Menschlichkeit zu den künstlerischen Höhepunkten des Tauwetterkinos, der sowjetischen Filmgeschichte überhaupt gehören. Er entstammte der gleichen Generation wie Andrej Tarkovskij, Sergej Paradžanov oder Marlen Chuciev, doch sein Name geriet in Vergessenheit.
Die nähere Betrachtung seines bei aller Vielfalt der Ausdrucksformen beeindruckend konzisen Werkes offenbart einen selbstbewusst und raffiniert mit allen Möglichkeiten des Kinos arbeitenden, innovativen Filmkünstler. Schon von seinem ersten, noch in Co-Regie gedrehten Film Die Jugend unserer Väter (1958) an widersetzt er sich der linearen Narration und wählt eine episodenhafte, elliptische Erzählstruktur, in der Ereignisse oder Vorahnungen oft durch Dokumentaraufnahmen illustriert werden und welche die Aufmerksamkeit nicht auf einen zentralen Charakter, sondern ein ganzes Panoptikum an Figuren, Schauplätzen und Gesellschaftsschichten lenkt. Als einer der wenigen sowjetisch-jüdischen Regisseure konnte er dabei explizit jüdische Charaktere und ihr Idiom porträtieren.
In seinen drei Meisterwerken Der Sonne entgegen (1961), Auf Wiedersehen, Jungs (1964) und Lieben ... (1968) werden die einzelnen Szenen insbesondere von der Musik zu einem dichten Gesamtgefüge verknüpft. Mit keinem künstlerischen Partner hat Kalik so intensiv zusammengearbeitet wie mit dem Komponisten Mikaėl Tariverdijev, den er noch als VGIK-Student kennengelernt und zum Film geholt hatte und der sich zu einem der wichtigsten sowjetischen Filmmusiker entwickeln sollte. Gemeinsam erarbeiteten sie Szenen, Stimmungen, filmische Dynamik. Für Der Sonne entgegen schuf Tariverdijev den wohl ersten Jazz-Soundtrack der sowjetischen Filmgeschichte, während der von ihm selbst zärtlich-nonchalant hingebrummten Titelmelodie von Auf Wiedersehen, Jungs ein lebendig-performatives Element innewohnt.
Kalik kam 1927 als Sohn eines bekannten Theaterkünstlers in Moskau zur Welt. Nach einem Studium an der Theaterschule GITIS wurde er als einer der ersten jüdischen Studenten überhaupt auf Fürsprache von Michail Romm 1949 an der staatlichen Filmhochschule VGIK aufgenommen. Kurz nach Beginn des Studiums, auf dem Höhepunkt von Stalins antijüdischer Politik, wurde er verhaftet und verbrachte fast zwei Jahre im Gulag – seine "dritte Universität", wie er später sagte. Er schaffte die Rückkehr an die VGIK und fand seine künstlerische Heimat bald darauf in den Studios der Moldova-Film. Nach Zensurproblemen um Lieben ... sowie infolge der zunehmend antijüdischen Stimmung in Sowjetrussland emigrierte Kalik mitsamt seiner Familie 1971 nach Israel, wo er sich Moshe nannte. Sein dortiger Spielfilm Drei und eins (1974) war ein heftiger Misserfolg. Dies wie auch Kaliks Unwille, sich in die neue, technisch gegenüber der UdSSR unterlegene Produktionslandschaft einzufügen, führte dazu, dass er nur noch einen einzigen Langfilm realisierte, Die Rückkehr des Windes (1991), in dessen Reichtum an Empfindung und inszenatorischer Virtuosität sich ein letztes Mal zeigen sollte, was das Kino an Kalik verloren und gewonnen hat. (Gary Vanisian)
Die Retrospektive findet in Kooperation mit dem Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. statt, dessen Programmgestalter Gary Vanisian zu ausgewählten Filmen Einführungen halten wird.
Mit besonderem Dank an den russischen Gosfilmofond und das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres/Kulturforum Moskau.