Josef von Sternberg
Das Gesamtwerk
1. bis 27. April 2007
Tausend kleine Lichter in tausend Stufen zwischen weiß und schwarz; tausend Ballen Seide, Tüll und Fischnetz; tausend Dünen, Dattelpalmen, marmorne Gemächer. Aus allen diesen Dingen und aus Worten wie „Morocco“, „Shanghai Lily“, „Old Vienna“ ist eine glanzvolle Welt geformt, die eher dem Gesetz des Begehrens folgt als der Logik oder der Schwerkraft. Josef von (geboren als Jonas) Sternberg aus Wien-Leopoldstadt hat diese Welt erfunden, mit den Mitteln des Hollywoodfilms und in der Überzeugung, das Kino könne eine persönliche Vision der Dinge nicht nur ertragen, sondern sogar daran genesen. Josef von Sternberg, geboren 1894 als Sohn mittelloser Juden in Wien, gestorben 1969 in Los Angeles als einer der großen Unnachahmlichen – als ein poète maudit des Films.
Im Rahmen der bislang umfassendsten Sternberg-Schau in Europa wird ein stilistischer und inhaltlicher Reichtum sichtbar, der weit über die sieben berühmten „Marlene-Dietrich-Klassiker“ hinausreicht. Sternbergs Kreation einer schillernden neuen Kinofigur, die zunächst Der blaue Engel heißt, dann Blonde Venus und The Scarlet Empress und zuletzt The Devil is a Woman, verdeckt bis heute seine vielfältigen Leistungen vor und nach der Arbeit mit Dietrich: seine Zeit als Jung-Genie im Hollywood der späten 20er Jahre – mit Welterfolgen wie Underworld (1927, die Geburt des Gangsterfilms), The Last Command oder The Docks of New York; seine Dreiser- und Dostojewski-Verfilmungen in den 30er Jahren – An American Tragedy und Crime and Punishment (mit Peter Lorre als Raskolnikow); oder seine bestechenden Ausflüge in den Film noir mit The Shanghai Gesture (1941) und Macao (1952).
Am verdecktesten ist wohl sein letztes Werk The Saga of Anatahan, gedreht in Japan mit japanischen Darstellern und im Geiste jener radikalen Freiheit und Eigenwilligkeit, mit der seine Karriere begonnen hatte: The Salvation Hunters (1925) und Anatahan (1953) sind Filme eines echten Independent-Künstlers, der nahezu sämtliche Aspekte der Filmherstellung selbst übernimmt.
Der Prater seiner Jugend, den er in der Autobiografie begeistert beschreibt, gibt erste Hinweise auf Sternbergs Idee vom Kino – Erotik, Artistik, Dynamik des Flanierens, Staunen mit offenem Mund. Mit vierzehn kam er nach New York. Sein erster Job war die Arbeit mit Stoffen in einem Modegeschäft, sein erster Filmjob das Reinigen abgespielter Kinostreifen. Wichtig für beide ist die Berührung, das Spiel der Hand mit dem Material. In seinen Filmen kommt der Blick hinzu, das hypnotische Sehen. Bei Sternberg erleben wir Sadomasochismus, Fetische, Objekte der Sehnsucht, die stets im Verschwinden sind. Glamour, sagt er nach seiner Psychoanalyse, „verspricht etwas, das nicht eingelöst werden kann“. In diesem Satz ist bereits, ganz kryptisch, der Schmerz enthalten, der seine eigene Karriere begleitet.
Der Weltruhm, den seine besondere Art von Glamour-Erotik Anfang der 30er Jahre genießt, ist nicht von Dauer. Ab 1935 gewinnen in Hollywood die visuellen Tabus und die Selbstzensur an Bedeutung. Die Prater- und Schaulust-Generation (Stroheim, Sternberg) wird von der Theater- und Reporter-Generation (Billy Wilder, Otto Preminger) abgelöst. Sternberg zieht sich langsam zurück, dreht eine frivole Komödie rund um Kaiserin Sissi, zerkracht sich mit Charles Laughton bei dem (abgebrochenen) Epos I, Claudius und geht 1950 mit Howard Hughes das herrliche Wagnis eines durch und durch sexualisierten Cold-War-Fliegerfilms ein (Jet Pilot).
Als Künstler wird er erst spät, am Ende seines Lebens, rehabilitiert – vor allem von der französischen und deutschen Filmkritik. Sein berufliches Problem bestand darin, dass er sich lange, bevor dieser Begriff entstand, schon als auteur des Kinos betrachtete. Kein Dienstnehmer und Handwerker, sondern einer, der sich ganz und gar aufs Kino einlässt. Das Band des Films war ihm Nabelschnur und Henkerswerkzeug zugleich: „der Zelluloidstreifen, der nicht nur die Erde umschlingt, sondern auch meinen Hals“.
Die bildungsbürgerliche Kontroverse rund um „Glanz“ und „Substanz“ entzündet sich bis heute an Sternbergs Werk: Um seine Größe zu ermessen, gilt es, die beiden Begriffe als Einheit zu sehen: Das Kino als Schwellenort braucht Künstler, die Innen und Außen, „Tiefe“ und „Oberfläche“ nicht separat betrachten, sondern traumhaft ineinander führen. In The Shanghai Gesture heißt es einmal: „I didn’t think such a place existed except in my own Imagination – like a half-remembered dream. Anything could happen here, at any moment.“ Such a place, das ist, wenn es gut geht, das Kino. Das Kino von Josef von Sternberg.
Die Schau offeriert zahlreiche neu restaurierte Kopien, Raritäten von (und über) Sternberg, Vorträge von Janet Bergstrom und Werner Sudendorf sowie – als heimlichen Höhepunkt – die Präsentation des kürzlich aufgefundenen Prater-Fragments aus Sternbergs Wien-Film The Case of Lena Smith (1929). Dieser verschollene und sagenumwobene Film steht auch im Zentrum des neuen Bandes der FilmmuseumSynemaPublikationen, der am 19. April präsentiert wird: Josef von Sternberg. The Case of Lena Smith. Entlang von 100 Originalfotos und -zeichnungen, allen Zwischentiteln, zahlreichen Drehbuch-Dokumenten und Essays rekonstruiert das Buch Sternbergs hochexpressives Filmdrama über eine junge Frau in der Wiener Klassengesellschaft des Fin de siècle.
Das Sternberg-Projekt des Filmmuseums konnte nur dank der großzügigen Unterstützung durch die ERSTE BANK realisiert werden. Darüber hinaus danken Synema und das Filmmuseum Meri und Nicholas von Sternberg sowie Janet Bergstrom, Franz Grafl und Komatsu Hiroshi für die Ermöglichung der Publikation. Wir freuen uns, Josef von Sternbergs Tochter Catherine Dupont von 19. bis 21. April im Filmmuseum begrüßen zu dürfen.