Sullivan's Travels, 1941, Preston Sturges

Preston Sturges
Sieben Filme. 1940-44

10. Februar bis 7. März 2012
 
Wenig im US-Kino ist so entschieden amerikanisch wie die Komödien von Preston Sturges. Amerikanisch ist ihr Temperament, dem durchschlagende Einfälle und Tempo wichtiger sind als Taktgefühl und Gediegenheit. Amerikanisch sind ihre Dialoge, die sich so pointiert und verspielt an den Idiomen ihrer Nation abarbeiten wie die Reiseberichte von Mark Twain. Und amerikanisch war Sturges’ Laufbahn, die so plötzlich abhob und wieder einknickte wie die ­Karrieren der ­Jedermänner, die durch Filme wie Christmas in July (1940) oder Hail the Conquering Hero (1944) stolpern.

 
Preston Sturges (1898-1959) – Drehbuchautor, Teilzeit-Erfinder und Möchtegern-Unternehmer – ist über vierzig, als er zum ersten Mal Regie führt. Mit The Great McGinty (1940), einem Lehrstück über die Vorzüge der Korruption, landet er einen Überraschungserfolg und formuliert im Kern bereits seine eigensinnige Mischung aus galliger Satire und ausgelassenem Slapstick. Es ist der Auftakt einer verblüffenden Serie: Binnen vier Jahren kurbelt Sturges eine vielschichtig schillernde Komödie nach der anderen herunter, bevor er wieder aus der Gunst der Studios und des Publikums fällt.
 
Sturges hantiert durchwegs mit etablierten Genreformeln und Charaktertypen. Er setzt der Screwball Comedy mit The Lady Eve (1941) einen eleganten Höhepunkt, bevor er sie mit The Palm Beach Story (1942) schwungvoll ad absurdum führt. Zugleich werfen seine Filme unverfroren direkte Blicke auf einen US-Alltag zwischen enormen Glücksversprechungen und rigider Einschränkung. Sie handeln von kleinen Angestellten, die auf das große Los hoffen (Christmas in July), von Massenarmut und Zerstreuung (Sullivan’s Travels, 1941) oder von der patriotischen Hysterie an der home front des Zweiten Weltkriegs (Hail the Conquering Hero). Sogar die Nöte eines Teenager-Mädchens, das ein wildfremder Soldat geschwängert hat, werden 1944, allen Zensurauflagen hohnlachend, zum Ausgangspunkt schwindelerregender Verwechslungskomik: „The Miracle of Morgan’s Creek is like taking a nun on a roller coaster“, notierte Kritiker James Agee entzückt über diesen Gipfel Sturges’scher Dreistigkeit.
 
Die Beförderung vom Drehbuchschreiber zum Regisseur eigener Stoffe, die sich Sturges hartnäckig erkämpft hat, wird Anfang der 40er Jahre zum Präzedenzfall für andere Studioautoren wie Billy Wilder und John Huston. Fast alle Regiearbeiten verfasst Sturges alleine, ihre unverwechselbare Signatur verdanken sie aber einer Gruppe: jenen zwei Dutzend begnadeter Charakterdarsteller, die Sturges wieder und wieder in Nebenrollen besetzt und die nicht selten die nominellen Hauptfiguren an den Rand drängen.
 
Was das Monument Valley für John Ford, das sind für Sturges die Gesichtslandschaften seines Stammpersonals – die zornzerfurchte Stirn von William Demarest, die Hängebacken von Franklin Pangborn, der Schildkrötenhals von Jimmy Conlin. Mit dieser Besetzungs­politik greift Sturges auch Traditionen auf: Viele seiner regulars sind geschult im elastischen Ensemblespiel des schnellen 30er-Jahre-Kinos, das er nun weiter verdichtet. Andere haben bereits an jenen Stummfilmgrotesken mitgewirkt, deren überbordende Freude am Stolpern und Stürzen Sturges gleichberechtigt neben raffinierten Wortwitz stellt.
 
Im virtuos orchestrierten Durcheinanderrennen und -reden seiner Nebenfiguren kommen Sturges’ Komödien zu sich, finden Bilder und Töne für ihre eigene unruhige Energie. Mehrstimmig sind ­diese Filme schon in der Konzeption: abrupt im Wechsel der Tonfälle und so beweglich in ihrer satirischen Stoßrichtung, dass sie sich kaum je auf eine verbindliche Position festnageln lassen. Nirgends ist das deutlicher als in Sullivan’s Travels, der Tragikomödie vom Hollywoodregisseur, der auszieht, das Armsein zu lernen. So versöhnlich kann das Ende gar nicht sein, dass es vergessen ließe, wie es den Film davor Episode für Episode in unterschiedlichste Richtungen gerissen hat. Auch darin sind Sturges’ Filme im besten Sinne „typisch amerikanisch“: den Hollywood-Insiderwitz und die erschütternde Sozialkritik trennt manchmal nur ein Schnitt.
 
Die Schau der klassischen Komödien von Preston Sturges wird ergänzt durch einen Vortrag des Filmwissenschaftlers und Kritikers Joachim Schätz am 23. Februar.
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