Hanns Eisler in Amerika, 1943 (Archiv Dr. Jürgen Schebera, Berlin / Bildbearbeitung: Thomas Neumann)

Hanns Eisler
Kompositionen für den Film

18. April bis 6. Mai 2013
 
„Hanns Eisler war von kleiner Statur, rundlich, der Schädel kahl; er kleidete sich nicht ohne Sorgfalt, rauchte zuviel, trank zuviel, liebte gewisse Süßig­keiten und würde schallend gelacht haben, wenn ­jemand auf den Gedanken gekommen wäre, ihn mit einem Orkan oder einem Gewitter zu vergleichen. Es genügte, dass er sich entfernte, um so groß zu werden wie ein Gebirge. Hinter seinen Liedern hört man mehr als seine Stimme: sein Jahrhundert.“ (Vladimir Pozner)
 
Es war das Jahrhundert des Kommunismus, der Massen, ihrer Erhebungen und Unterjochungen, das aus Hanns Eislers Musik erklingt – aus den Männerchören, den Zwölftonkompositionen, der Filmmusik, den Neuen Volksliedern ... All dies ist gar nicht leicht zu trennen, denn seine Kunst war in beständigem Wandel, so wie jene seines Komplizen Bertolt Brecht: ein stetes Neuverhandeln der Verhältnisse hin zu solchen, die einmal allen Menschen gleich nützen sollen.
 
Eisler war Österreicher, auch wenn er 1898 in Leipzig zur Welt kam, 1962 in Ostberlin verstarb und dazwischen einmal um die ­halbe Welt gerufen bzw. gehetzt wurde. Einige Stationen: Paris, Moskau, London, Prag, Mexiko, die USA, die DDR und immer wieder Wien. In seinem Leben ging alles fließend ineinander über: sein Internationalismus und musikalischer Forscherdrang, der Wille, an allen Fronten des Klassenkampfes zu wirken, die daraus folgenden Repressalien und die kulturpolitischen Machtkämpfe im „eigenen Lager“. Heute Academy Award-Nominierungen, morgen McCarthy-Opfer; heute Komponist der DDR-Nationalhymne, morgen „heimat­loser Kosmopolit“ und „Formalist“ – zwei antisemitisch konnotierte Phrasen, die 1951/52 wiederholt in den DDR-Debatten um sein ­großes Opernprojekt Johann Faustus auftauchten.
 
Eisler gilt neben Alban Berg und Anton Webern als der wichtigste Schüler Arnold Schönbergs. Doch er kultivierte eine andere Vision von der Modernen Musik und ihren Zielen als sein Meister: Eislers Avantgarde fand ihren Ort nicht in den bürgerlichen Salons, sondern auf der Straße. Der Tonfilm kam ihm also gerade recht: Das Kino war die junge (Massen-)Kunst seiner Ära und bot ihm ein ideales, auch politisch interessantes Experimentierfeld. Einige der bedeutendsten Eisler-Film-Scores entstammen dieser Zeit und der Zusammenarbeit mit Innovatoren wie Brecht und Slatan Dudow, Victor Trivas, Joris Ivens. Von Ivens stammt auch der kurze Stummfilm Regen (1929), dem Eisler zwölf Jahre später im US-Exil eine grandiose Zwölftonkomposition hinzufügte: Vierzehn Arten den ­Regen zu beschreiben. Neben dem (erneut 14-teiligen) Score für Alain Resnais’ Holocaust-Erinnerungsessay Nacht und Nebel ist die Regen-Vertonung vielleicht Eislers gewaltigstes Stück Filmmusik.
 
Das Jahrzehnt in New York und Hollywood hielt für Eisler, anders als für die meisten Emigranten, vielfältige Aufgaben bereit. Er unterrichtete, wirkte an der Weltausstellung 1939 mit, forschte an ­seinem großen „Film Music Project“ im Auftrag der Rockefeller Foundation, komponierte angewandte Musik fürs Theater und die Filmindustrie und vollendete zahlreiche Meisterstücke wie die Deutsche Symphonie und das Hollywooder Liederbuch. Das Standardwerk Komposition für den Film, das er gemeinsam mit Theodor Adorno in Kalifornien verfasste, wird ob der darin formulierten Kritik am „Schmiermittel“ des Hollywood-Sound gerne im Widerspruch zu Eislers eigener Hollywood-Praxis gesehen. Aber Reinheit war nie sein Ziel: Das Neben- und Ineinander von „eigenen“ Werken und Auftragsarbeiten war ebenso typisch für ihn wie die ständige Wiederverwertung von musikalischen Motiven quer durch alle Gattungen.
 
Eislers Filmmusik steht oft in einem dialektischen Verhältnis zum Bild. Sie gibt zu erkennen, was eben nicht zu sehen ist, enthüllt dem Zuschauer die „wahre Perspektive“ einer Szene, indem sie sich kommentierend damit verzahnt. Sie agitiert, desillusioniert und erzählt ähnlich viel wie die Handlung oder der Text – und sie verlangt hohe Aufmerksamkeit bei der „Lektüre“. Manchmal spricht sie auch das kollektive Gedächtnis seines Publikums an, z. B. wenn Eisler Phrasen aus seinen Kampfliedern zitiert. So hört man quer durch die Dekaden wieder und wieder das Leitmotiv seines Solidari­täts­lieds, von dem heute wohl viele nicht mehr wissen, dass es eine Eisler-Schöpfung ist. Vielleicht ist das sogar in seinem Sinne: Der Massen-Avantgardist ging so auf und ein in seine/r Zuhörerschaft.
 
Die Schau ist die bislang umfangreichste Darstellung von Hanns Eislers Kompositionen für den Film. Sie wird ergänzt durch einen Vortrag und Einführungen von Johannes C. Gall und ein von Monika Meister geleitetes Forschungsseminar am TFM der Universität Wien über die lebenslange Zusammenarbeit von Eisler und Bertolt Brecht.
Zusätzliche Materialien