Je rentre à la maison/Vou para Casa (Ich geh' nach Hause), 2001, Manoel de Oliveira

Manoel de Oliveira
Die Musik der verschwundenen Dinge

13. bis 30. November 2015
 
Als Manoel de Oliveira im Frühling dieses Jahres verstarb, war er mit der Vorbereitung eines neuen Projekts beschäftigt. Was soll man im Alter von 106 auch anderes machen als einfach den nächsten Film? Vor allem dann, wenn die Karriere erst zu jenem Zeitpunkt ins Laufen gekommen ist, an dem die meisten Menschen in den Ruhestand treten ...

De Oliveira war aber nicht nur aufgrund seines Alters eine Jahrhundertgestalt. Sein Schaffen steht in reicher Verbindung mit der Geschichte und Literatur seiner portugiesischen Heimat und markiert zugleich eine jener unerschöpflichen und oft rätselhaften Einzelpositionen im modernen Kino, wie sie die europäische Filmindustrie seit bald 30 Jahren eigentlich nicht mehr zulassen will. De Oliveira war in diesem Kino einer der ersten – mit seiner proto-neorealistischen Kinder-Fabel Aniki Bóbó – und er wird auch der letzte gewesen sein.

Für Manoel de Oliveira, geboren 1908 in Porto, verlief alles etwas anders als in den üblichen Regiekarrieren. Eine erste, noch stumme Etüde entstand zwar schon 1931 mit dem bedächtigen Porträt seiner Heimatstadt und ihres Flusses (Douro Faina Fluvial), doch es dauerte bis in die frühen 1970er Jahre, bis zu seinem dritten Langfilm O Passado e o Presente, dass er regelmäßig abendfüllende Werke zu realisieren begann. In den vier Dekaden dazwischen war er vor allem ein „Amateur“ – hauptberuflich musste er sich um den Familienbetrieb kümmern und pflegte zudem andere Hobbys wie etwa den Motorsport. Dazu kam das Salazar-Regime, mit dem er sich nicht mehr als nötig einlassen wollte; als Elitesprössling, Dandy und katholisch-konservativer Modernist waren ihm die lokalen Faschisten suspekt bis schlicht zuwider. Seine ersten beiden größeren Werke, Aniki Bóbó (1942) und das farbenprächtige ländliche Passionsspiel Acto da Primavera (1963), lassen sich so wie der Kurzfilm A Caça (1963) als Kritiken an diesem Staat und dessen filmischen (Selbst-)Bildern lesen.

Als ihm mit seiner ironischen Adaption von Camilo Castelo Brancos Klassiker Amor de Perdição (1979) der internationale Durchbruch gelang, war Manoel de Oliveira rund siebzig Jahre alt. Und schon bald begann man ihn für sein Lebenswerk zu ehren – in der Annahme, dass er ja demnächst sterben würde. Er selbst ging scheinbar auch nicht von einem sonderlich langen Leben aus, sonst hätte er nicht schon 1982 sein süffisantes filmisches Testament gedreht, Visita ou Memórias e Confissões, das erst nach seinem Tod veröffentlicht werden durfte. In den 90ern fand er jedoch einen Produzenten, Paulo Branco, der ihn zu einer internationalen Kino-Institution machte und dafür sorgte, dass er fast im Jahrestakt einen neuen Spielfilm realisieren konnte – nicht selten mit Weltstars wie Catherine Deneuve, Michel Piccoli, Marcello Mastroianni, Irene Papas oder John Malkovich.

Und der Regisseur wuchs mit den sich nun bietenden Möglichkeiten. Wie sein Komponist João Paes einmal sagte: Für De Oliveira muss jeder Film etwas Neues bieten – ein Experiment sein, ein Aufbruch, Abenteuer. Weshalb sich sein Schaffen auch nicht auf einen simplen Nenner bringen lässt: Es finden sich darin mächtige Melodramen wie Francisca oder Vale Abraão ebenso wie hintersinnig-listige Komödien (Ich geh’ nach Hause, Eigenheiten einer jungen Blondine), poetisch-essayistische Arbeiten (Porto da Minha Infância) und cinephile Spiele (Belle toujours). Den Sondierungen der eigenen Position in der Welt (Viagem ao Princípio do Mundo) stehen Versuche zum Schicksal Portugals entgegen („Non“, ou A vã Glória de Mandar) – wobei Portugal für ihn gleichbedeutend war mit der alten Welt: Europa. Zudem liebte er es, mitten im Film Stil und Tonfall, Stimmung wie Haltung zu wechseln; man muss bei ihm immer auf alles gefasst sein, darf nie glauben, man wüsste, wohin die Reise geht.

Manoel de Oliveira war eine Ausnahme, eine Abweichung sondergleichen. Immer schon alt und jugendlich zugleich, Angehöriger einer verlorenen Zeit und einer, die erst noch kommt. „Im Leben bedeutet ein Verlust immer auch einen Neubeginn. Die Kunst ist darin nicht mehr als die 'Musik der verschwundenen Dinge'.“

Die Hommage an Manoel de Oliveira ist eine Kooperation zwischen dem Filmmuseum und der Viennale und findet mit großzügiger Unterstützung der Cinemateca Portuguesa statt. Der Filmemacher Pedro Costa hat auf Einladung der Viennale eine Reihe von Filmen aus De Oliveiras umfassendem Œuvre ausgewählt. Diese sind nach dem Festival auch im Filmmuseum zu sehen, ergänzt durch weitere Hauptwerke. Insgesamt präsentiert die Schau 25 Kurz- und Langfilme. Am 13. und 14.11. wird José Manuel Costa, Direktor der Cinemateca Portuguesa, für Einführungen und Gespräche zu Gast im Filmmuseum sein.

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