Kino-Atlas 2: The GPO Film Unit
9. bis 16. Dezember 2015
Die Reihe „Kino-Atlas“, die das Filmmuseum im September dieses Jahres begonnen hat, geht von der Idee aus, dass Kino etwas mit Gruppierung zu tun hat: So wie Menschen sich an einem spezifischen Ort versammeln, gruppieren sich die Filme selbst um soziale Konstellationen – als „Neue Wellen“, als Freundschaftszusammenhang an einer Filmhochschule, als politische Zweckgemeinschaft oder als Produktionseinheit in einem Studiosystem.
Das zweite Kapitel widmet sich den erstaunlichen Filmen des britischen General Post Office (GPO). In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts war die Post einer der größten Arbeitgeber Großbritanniens. Um die Post als ein modernes Unternehmen darzustellen, das für wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt einsteht, wurde 1933 die GPO Film Unit gegründet, die aus den Überresten des Empire Marketing Board hervorging. Wie schon dort fand die Filmproduktion unter Aufsicht von John Grierson statt: Er versammelte eine Gruppe junger Frauen und Männer um sich, die eine Art informelle Filmschule bildeten. Man war progressiv, sowohl politisch als auch künstlerisch, und brachte jugendlichen Elan, Optimismus und eine leichte Melancholie mit. Der britische Schriftsteller J.B. Priestley beschrieb seine Eindrücke kurz und bündig: „Young men in high-necked sweaters“.
Einerseits waren die GPO-Produktionen Werbung für die Post und damit auch für die britische Regierung: verspielt wie Len Lyes N or NW (1937), wo eine falsche Postleitzahl auf einem Brief fast das Ende einer Liebesbeziehung bedeutet; nüchtern-informativ wie Stuart Leggs The Coming of the Dial (1933), der die Funktionsweise der neu eingeführten Telefon-Wählscheibe erklärt; oder auch ganz offensiv demokratischen Idealen verpflichtet. Andererseits erhielten die Filmemacher einen Raum, avantgardistische Ziele zu verfolgen und – unter dem starken Einfluss des sowjetischen Kinos der 1920er Jahre – die Möglichkeiten des Mediums auszuloten.
Das theoretische Fundament boten John Griersons Überlegungen zum Dokumentarfilm, die er bereits in seinem filmischen Manifest Drifters (1929) erprobt hatte. Bei der GPO Film Unit ermutigte er die jungen Filmemacher, sich in ihren Arbeiten mit sozialen, politischen und ökonomischen Fragen zu beschäftigen und diese durch innovative Stilmittel darzustellen. 1937 übernahm der kosmopolitische Brasilianer Alberto Cavalcanti („Ich bin Surrealist mit einer Tendenz zum Realismus“) die Leitung, und es kam zu einer stärkeren Ausdifferenzierung. Neben dem dokumentarischen Realismus fanden nun vermehrt spielerische, essayistische Arbeiten sowie fiktionale Formen ihren Platz. Harry Watts „rekonstruierter“ Dokumentarfilm North Sea (1938) und die Filme von Humphrey Jennings stehen beispielshaft für diese Phase.
Der Zweite Weltkrieg verschob schließlich den Fokus hin zu Propagandafilmen, die die Bevölkerung zuerst auf den Krieg vorbereiten sollten und bald auch dazu auffordern mussten, mit ihm zu leben. 1940 fand die Arbeit der GPO Film Unit ein Ende. – Sie wurde in die Crown Film Unit umgewandelt und damit direkt dem britischen Informationsministerium unterstellt.
Die Schau präsentiert mehr als 20 ausgewählte GPO-Produktionen und findet mit Unterstützung des British Film Institute statt. Hannes Brühwiler und Lukas Foerster, Kuratoren der Reihe „Kino-Atlas“, sowie Fabian Tietke werden zu drei der fünf Programme Einführungen halten.