Kino-Atlas 1: L.A. Rebellion
Creating a New Black Cinema
24. September bis 8. Oktober 2015
Keine Geschichtsschreibung ohne Kategorien. Intervention in Geschichtsschreibung heißt: Kategorienverschiebung. Die von Lukas Foerster und Hannes Brühwiler kuratierte Reihe Kino-Atlas, die das Filmmuseum ab Herbst 2015 anbietet, geht von der Idee aus, dass Kino etwas mit Gruppierung zu tun hat. So wie ein einzelner Film für gewöhnlich nur zustande kommt, wenn eine Gruppe von Menschen sich über einen begrenzten Zeitraum an einem spezifischen Ort versammelt, gruppieren sich die Filme selbst um soziale Konstellationen: als „Neue Wellen“ in Paris, Tokio oder Taipeh, aber auch als freundschaftlicher Zusammenhang an einer Filmhochschule, als politische Zweckgemeinschaft oder als Produktionseinheit in einem Studiosystem.
Nimmt man solche Formen der Sozialisation als die Grundeinheit der Kinos, so wird der Blick frei auf eine Filmgeschichte, die nicht von National-Kinematografien ausgeht und trotzdem die historische „Verräumlichung“ von Kinopraktiken anerkennt; die nicht dem auteuristischen Geniekult huldigt und doch interessiert ist an den Spuren des Individuellen, die sich ins filmische Bild eintragen; die Stil nicht als formalistisches Abstraktum fasst, sondern als Kondensat eines jeweils spezifischen In-der-Welt-Seins.
L.A. ist die erste Station dieser Erwanderung eines Kino-Atlas. Im Schlussteil von Los Angeles Plays Itself (2003/2013), Thom Andersens monumentalem Essayfilm über die filmische Darstellung seiner Heimatstadt, wendet sich der Voice-over-Kommentar von Hollywood ab, das vorher meist im Zentrum stand. „Another city, another cinema: a city of walkers, a cinema of walking.” Es folgen Ausschnitte aus Haïle Gerimas Bush Mama und Charles Burnetts Killer of Sheep – Beispiele für „eine neorealistische Bewegung in Los Angeles, die von jungen, schwarzen, aus dem Süden stammenden Filmemachern angeführt wurde“.
Historisch wurde diese Bewegung, auf die Andersens ganze Kino-Stadtgeschichte zuläuft, als „L.A. Rebellion“ bekannt. Ihr Ausgangspunkt war ab Mitte der 1960er Jahre die UCLA Film School, wo sich eine Gruppe schwarzer Studenten zusammengefunden hatte, die nach ästhetischen und politischen Alternativen nicht nur zu Hollywood, sondern auch zu den geläufigen Formen des Autorenkinos ihrer Zeit suchten. Das Kino der L.A. Rebellion entstand in direktem Anschluss an die sozialen Kämpfe jener Jahre – die Civil-Rights-Bewegung, die Watts-Unruhen 1965 – sowie in (kritischer) Auseinandersetzung mit den avancierten Strömungen des nationalen wie internationalen Independent-Kinos.
Soweit sie überhaupt noch ein Begriff ist, wird die L.A. Rebellion heute meist auf wenige Namen – Burnett, Gerima, Julie Dash – verkürzt. Ein umfangreiches Restaurierungsprojekt der UCLA hat es nun möglich und notwendig gemacht, sie dem Friedhof der vergessenen Avantgarden zu entreißen. Dabei wird der Blick frei auf eine sehr viel größere Gruppe von Filmemacher/inne/n (und andere minoritäre Arbeitskontexte, etwa von hispano-amerikanischen oder asiatisch-stämmigen Studierenden); auf ein filmästhetisches Spektrum, das sich keineswegs im Neorealismus erschöpft, das auch wütende Agitation und hochreflexive Introspektion umfasst; und auf einen diskursiven Raum, der weit über die Grenzen dessen hinaus weist, was heute gemeinhin unter „Indie-Kino“ verstanden wird.
Man stößt dann zum Beispiel auf die lyrischen, vom Panafrikanismus inspirierten Essayfilme Ben Caldwells, auf die Genre-Extravaganzen Jamaa Fanakas, auf Meisterwerke der kurzen Form wie Melvonna Ballengers Agitprop-Gedicht Rain. Eine der größten Wiederentdeckungen stellt das ebenso schmale wie faszinierende Werk des Regisseurs Larry Clark dar: Sein erster mittellanger Film, das erstaunliche Formexperiment As Above, So Below (1973), galt bis vor kurzem als verschollen, der politische Jazz-Film Passing Through (1977) bildet so etwas wie das heimliche Zentrum der Bewegung – und der multikulturelle Western Cutting Horse (2002) vielleicht ihren melancholischen Schlusspunkt.
Das Projekt wurde in enger Kooperation mit dem UCLA Film & Television Archive organisiert und findet mit freundlicher Unterstützung der U.S. Embassy in Österreich statt. Zwei „Special Screenings” erweitern den Kontext: die neue, erweiterte Fassung von Los Angeles Plays Itself sowie Spencer Williams’ The Blood of Jesus (1941), ein frühes Beispiel für radikal unabhängiges schwarzes US-Kino. Die Kuratoren des „Kino-Atlas“, Lukas Foerster und Hannes Brühwiler, werden Einführungen zu fünf der 13 Programme geben.
L.A. Rebellion: Creating a New Black Cinema is a project by the UCLA Film & Television Archive developed as part of Pacific Standard Time: Art in L.A. 1945–1980.