In Erinnerung an Abbas Kiarostami
11. bis 30. November 2016
"Das Kino beginnt mit D. W. Griffith und endet mit Abbas Kiarostami." – Jean-Luc Godard, 2005
Fast zwei Jahre lang hatten die Wiener Filmakademie und das Filmmuseum an dem Projekt gearbeitet, den iranischen Regisseur, Künstler und Dichter Abbas Kiarostami Ende 2016 erneut nach Wien zu bringen: Entlang einer Schau seiner Werke wollte er mit Film-Studierenden und dem Wiener Publikum einigen essentiellen Fragestellungen des Kinos nachgehen. Das Wunschvorhaben blieb unerfüllbar: An Krebs erkrankt, starb Kiarostami am 4. Juli in Paris, wohin er zur Behandlung gereist war.
Als Hommage an einen Hauptgestalter des modernen Films zeigt das Filmmuseum nun seinen – biografisch wie künstlerisch – zentralen Werkkorpus, den schlagenden Beleg dafür, dass Kiarostami "das höchste künstlerische Niveau des Kinos repräsentierte" (Martin Scorsese). Sieben unmittelbar hintereinander entstandene Spielfilme, die auf ihrem Weg rund um die Welt den persischen Regisseur berühmt machten und das iranische Kino stärker denn je in den Brennpunkt rückten. Sein ehemaliger Assistent Jafar Panahi (dessen Film Der weiße Ballon, nach einem Kiarostami-Drehbuch, am 15.11. zu sehen ist) ist nicht die einzige wichtige Weltkino-Figur aus seinem Umfeld.
Dabei kam der 1940 als Sohn eines Freskenmalers in Teheran geborene Abbas Kiarostami zufällig zum Film: Studiert hatte er Malerei und grafische Gestaltung, das Design von Postern und Werbungen brachte ihn zum iranischen Fernsehen, wo er in den frühen 1960er Jahren gut 150 Werbespots drehte. Einer davon führte den nunmehrigen Kinderbuchillustrator Ende der 60er zur Vereinigung zur Förderung der intellektuellen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen (Kanun): Kiarostami baute die Kanun-Filmabteilung mit auf, ab 1970 drehte er dort selbst Filme.
Schon die ersten kurzen Gehversuche demonstrierten seinen speziellen Zugang zum Medium: Zum bevorzugten Fokus auf Kinder kam ein ungewöhnlicher, zwischen Dokument und Fiktion schillernder Stil. Das Wunder von Kiarostamis Kunst liegt in der schwerelos-selbstverständlichen Verwandlung ganz simpler, realistisch präsentierter Situationen in hochkomplexe, geheimnisvolle, spirituell-philosophisch schwingende Versuchsanordnungen.
So etwa im Durchbruchsfilm Wo ist das Haus meines Freundes? (1987), der mit einem kleinen Jungen ins Nachbardorf aufbricht, damit dessen Klassenkollege das Schulheft zurückerhält: eine einfache Aufgabe, die zur kosmischen Entdeckungsreise wird – und zu einer Art Summe des Kanun-Werks von Kiarostami. Nachdem ein Erdbeben 1990 den Drehort Koker verwüstete, kehrte der Filmemacher für zwei Spurensuchen eben dorthin zurück: Und das Leben geht weiter (1992) und Quer durch den Olivenhain (1994) loten immer facettenreicher jenes irisierende Verhältnis zwischen Kino und Wirklichkeit aus, das er in der Filmpikareske Close-Up (1990) auf den Punkt gebracht hatte – eingedenk seines Diktums: "Wir können der Wahrheit nur nahe kommen, indem wir lügen."
Kiarostami verzichtete auf regelkonforme Drehbücher. Er ließ sich in monatelanger Vorbereitung auf seine Laiendarsteller ein und gestaltete seine Sujets um sie herum. Ihre "natürlichen" Reaktionen galten oft nicht dem (Filmfiguren-)Gegenüber, sondern Kiarostami höchstpersönlich. Bei der Montage wob er diese Momente in ein Werk, das unaufdringlich universale Erkenntnisse und raffinierteste Reflexionen offenbart: ein Kino auf Leben und Tod (buchstäblich in der Selbstmörder-Saga Der Geschmack der Kirsche) – und ein Kino des ewigen Wandels, kulminierend in Der Wind wird uns tragen (1999). Dieser Filmtitel, eine Bezugnahme auf die große persische Dichterin Forugh Farrokhzad, vermittelt auch das Selbstbild Kiarostamis – er sah sich eher als Lyriker denn als Erzähler. Seine filmische Landschaftsmalerei sucht den Takt und die Geometrie der Welt, und deren Unwägbarkeiten.
Der Film 10 (2002) führt bereits in die nächste Werkphase, in der Kiarostami das "kleine", flexible Medium Digitalvideo zu nutzen begann. Zehn Konversationen im Auto: eine Beschränkung, die er wie stets als Chance zur Erweiterung, zur Vertiefung begriff. In den Worten von Kiarostami-Bewunderer Michael Haneke: Am schwierigsten zu erreichen ist die Einfachheit.
Die Schau wird am 11. November in Anwesenheit von Michael Haneke eröffnet, der mit Alexander Horwath ein Gespräch über Abbas Kiarostami führen wird.
"Das Kino beginnt mit D. W. Griffith und endet mit Abbas Kiarostami." – Jean-Luc Godard, 2005
Fast zwei Jahre lang hatten die Wiener Filmakademie und das Filmmuseum an dem Projekt gearbeitet, den iranischen Regisseur, Künstler und Dichter Abbas Kiarostami Ende 2016 erneut nach Wien zu bringen: Entlang einer Schau seiner Werke wollte er mit Film-Studierenden und dem Wiener Publikum einigen essentiellen Fragestellungen des Kinos nachgehen. Das Wunschvorhaben blieb unerfüllbar: An Krebs erkrankt, starb Kiarostami am 4. Juli in Paris, wohin er zur Behandlung gereist war.
Als Hommage an einen Hauptgestalter des modernen Films zeigt das Filmmuseum nun seinen – biografisch wie künstlerisch – zentralen Werkkorpus, den schlagenden Beleg dafür, dass Kiarostami "das höchste künstlerische Niveau des Kinos repräsentierte" (Martin Scorsese). Sieben unmittelbar hintereinander entstandene Spielfilme, die auf ihrem Weg rund um die Welt den persischen Regisseur berühmt machten und das iranische Kino stärker denn je in den Brennpunkt rückten. Sein ehemaliger Assistent Jafar Panahi (dessen Film Der weiße Ballon, nach einem Kiarostami-Drehbuch, am 15.11. zu sehen ist) ist nicht die einzige wichtige Weltkino-Figur aus seinem Umfeld.
Dabei kam der 1940 als Sohn eines Freskenmalers in Teheran geborene Abbas Kiarostami zufällig zum Film: Studiert hatte er Malerei und grafische Gestaltung, das Design von Postern und Werbungen brachte ihn zum iranischen Fernsehen, wo er in den frühen 1960er Jahren gut 150 Werbespots drehte. Einer davon führte den nunmehrigen Kinderbuchillustrator Ende der 60er zur Vereinigung zur Förderung der intellektuellen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen (Kanun): Kiarostami baute die Kanun-Filmabteilung mit auf, ab 1970 drehte er dort selbst Filme.
Schon die ersten kurzen Gehversuche demonstrierten seinen speziellen Zugang zum Medium: Zum bevorzugten Fokus auf Kinder kam ein ungewöhnlicher, zwischen Dokument und Fiktion schillernder Stil. Das Wunder von Kiarostamis Kunst liegt in der schwerelos-selbstverständlichen Verwandlung ganz simpler, realistisch präsentierter Situationen in hochkomplexe, geheimnisvolle, spirituell-philosophisch schwingende Versuchsanordnungen.
So etwa im Durchbruchsfilm Wo ist das Haus meines Freundes? (1987), der mit einem kleinen Jungen ins Nachbardorf aufbricht, damit dessen Klassenkollege das Schulheft zurückerhält: eine einfache Aufgabe, die zur kosmischen Entdeckungsreise wird – und zu einer Art Summe des Kanun-Werks von Kiarostami. Nachdem ein Erdbeben 1990 den Drehort Koker verwüstete, kehrte der Filmemacher für zwei Spurensuchen eben dorthin zurück: Und das Leben geht weiter (1992) und Quer durch den Olivenhain (1994) loten immer facettenreicher jenes irisierende Verhältnis zwischen Kino und Wirklichkeit aus, das er in der Filmpikareske Close-Up (1990) auf den Punkt gebracht hatte – eingedenk seines Diktums: "Wir können der Wahrheit nur nahe kommen, indem wir lügen."
Kiarostami verzichtete auf regelkonforme Drehbücher. Er ließ sich in monatelanger Vorbereitung auf seine Laiendarsteller ein und gestaltete seine Sujets um sie herum. Ihre "natürlichen" Reaktionen galten oft nicht dem (Filmfiguren-)Gegenüber, sondern Kiarostami höchstpersönlich. Bei der Montage wob er diese Momente in ein Werk, das unaufdringlich universale Erkenntnisse und raffinierteste Reflexionen offenbart: ein Kino auf Leben und Tod (buchstäblich in der Selbstmörder-Saga Der Geschmack der Kirsche) – und ein Kino des ewigen Wandels, kulminierend in Der Wind wird uns tragen (1999). Dieser Filmtitel, eine Bezugnahme auf die große persische Dichterin Forugh Farrokhzad, vermittelt auch das Selbstbild Kiarostamis – er sah sich eher als Lyriker denn als Erzähler. Seine filmische Landschaftsmalerei sucht den Takt und die Geometrie der Welt, und deren Unwägbarkeiten.
Der Film 10 (2002) führt bereits in die nächste Werkphase, in der Kiarostami das "kleine", flexible Medium Digitalvideo zu nutzen begann. Zehn Konversationen im Auto: eine Beschränkung, die er wie stets als Chance zur Erweiterung, zur Vertiefung begriff. In den Worten von Kiarostami-Bewunderer Michael Haneke: Am schwierigsten zu erreichen ist die Einfachheit.
Die Schau wird am 11. November in Anwesenheit von Michael Haneke eröffnet, der mit Alexander Horwath ein Gespräch über Abbas Kiarostami führen wird.
Zusätzliche Materialien
Fotos 2016 - Michael Haneke
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