Robert Kramer
18. Oktober bis 28. November 2024
"Hallo: Ich komme aus NYC. Die 50er waren mies. In den 60ern wurde ich wiedergeboren. Ende der 70er verließ ich die Staaten. Seitdem lebe ich hier und da, hauptsächlich in Paris, und mache Filme." Mit dieser lakonischen Kurzbiografie beginnt Robert Kramer 1998 einen Brief an Bob Dylan. Er schlägt dem Musiker ein gemeinsames Filmprojekt vor – "kein Film über dich, kein Dokumentarfilm und keine Reportage, sondern wir beide, die über einen gewissen Zeitraum einen Film zusammen machen." Aus dem Projekt wird nichts. Kramer stirbt im November 1999 mit 60 Jahren in Rouen in der Normandie.
In Wim Wenders' Chambre 666 (Zimmer 666, 1982) schildert Kramer seinen Weg zum Film so: "Ich fing mit dem Schreiben an und schrieb Romane, aber ich merkte, dass ich in dieser übermächtigen Tradition gefangen war. Filme dagegen waren frei, es gab keine Regeln, das war mein Terrain. Ich konnte alles machen, was ich machen wollte – so wie alle anderen auch." Mindestens genauso wichtig ist, dass Kramer durch sein politisches Engagement zum Filmemachen kam. Troublemakers (1965) von Norman Fruchter und Robert Machover, die später zu wichtigen Verbündeten wurden, zeigt den Mittzwanziger als Aktivisten beim Bürgerrechtskampf der Schwarzen Community in Newark. In einer der aufgeregten Diskussionsrunden im Film schildert Kramer sein ambivalentes Verhältnis zur Politik: "Mich plagen enorme Vorurteile gegenüber der Politik. Mein ganzes Leben habe ich damit verbracht, herauszufinden, wie sehr das politische System stinkt, und ich verstehe nicht, wie wir plötzlich mitmachen und es ändern sollen." Die Gründung des Newsreel-Kollektivs, an dem Kramer 1967 als einer der Initiatoren und Hauptakteure beteiligt war, schien einen Ausweg zu bieten. Das Programm: politisch agieren, aber mit filmischen Mitteln und im Rahmen eines unabhängigen, selbstorganisierten Produktions- und Distributionsmodells, Schulter an Schulter mit den Students for a Democratic Society (SDS), verschiedenen Anti-Kriegsgruppen und den übrigen Gegen-Medien der oppositionellen Bewegung.
Mit seinen ersten Filmen, der Schwarzweiß-Trilogie In the Country (1966), The Edge (1967) und Ice (1969, Kamera: Machover, Ton: Fruchter), begibt sich Kramer ins Zentrum der Widersprüche der Neuen Linken. Von Anfang an steht die Gewaltfrage im Raum, von Anfang an sind auf allen Ebenen Unsicherheiten und Zweifel zu spüren, die von der umfassenden Gesellschaftsutopie über die Gruppendynamiken bis in die einzelnen Fasern der Individuen hineinreichen.
In Milestones (1975, Co-Regie: John Douglas) wird die Zersplitterung der Bewegung in einem breit angelegten Panorama vorgeführt. Verschiedenste Lebenswege, ein Figurenarsenal von fast 50 Genoss*innen, die trotz der Ernüchterungen nach 1968 ihren politischen Idealen treu zu bleiben versuchen. Alternative Kommunen in Vermont, rastloses Driften durch das Land, Neuorientierung nach Gefängnisaufenthalten, intensiver Austausch von Erfahrungen. Stets präsent: das Bewusstsein für die gewalttätigen Wurzeln der USA im Völkermord an den Native Americans und für die brutale Verschiffung und Versklavung der Schwarzen Bevölkerung. Aber auch: das Wunder neuen Lebens in einer langen, schmerzhaft-schönen Geburtssequenz.
Schon früh riefen Kramers Filme in Europa mehr Begeisterung hervor als in seinem Heimatland. Besonders die französischen Cinéphilen sahen die Verwandtschaft zu Jacques Rivette und den 1968er-Aktivisten Jean-Luc Godard und Chris Marker. Die Nelkenrevolution zog den Filmemacher (wie den späteren Freund und Kollegen Thomas Harlan, mit dem 1984 das Diptychon Wundkanal/Notre Nazi entstand) in den nachrevolutionären Aufbruch und führte zu Scenes from the Class Struggle in Portugal (1977). 1979 übersiedelte er mit seiner Frau Erika und der 1974 geborenen Tochter Keja Ho (benannt nach Ho Chi Minh) nach Paris, von wo aus es ihm gelang, in den folgenden zwei Jahrzehnten mehr als 20 Produktionen zu realisieren: für Fernsehen und Kino, zwischen vier und 255 Minuten lang, in unterschiedlichsten analogen und digitalen Medien zwischen 16mm und 35mm, Hi8 und DigiBeta.
Zwar lassen sich Kramers Filme, die von Beginn an das Dokumentarische in der Fiktion und die fiktionalen Momente im Dokumentarischen finden, in Phasen einteilen. Er selbst schlägt vor, die erste Periode mit dem Film über die Portugiesische Revolution enden zu lassen. In ähnlicher Weise könnte man die Produktionen der frühen 1980er Jahre nach dem enigmatischen Guns (1980) als Werkphase zusammenfassen. Das Pariser Institut National de l'Audiovisuel (INA) ermöglichte es Kramer (wie vielen anderen experimentellen Filmemachern in dieser Zeit), kürzere und mittellange Auftragsarbeiten zu realisieren. Für die 1990er ließe sich mit dem Filmkritiker Hironobu Baba von einer "Europäischen Trilogie" sprechen, die Berlin 10/90 (1991), Walk the Walk (1995) und Le Manteau (1997) umfasst. Die Spurensuche nach den jüdischen Ursprüngen seiner Mutter in Odessa und der Zeit seines Vaters an der Charité in Berlin um 1930 tritt in diesen Filmen als wichtiges Motiv hervor.
Zugleich wird eine derartig säuberliche Einteilung Kramers Werk nicht gerecht. Zum einen kehrt Kramer immer wieder zu Orten (Portugal, Vietnam, Berlin, die USA) und Personen zurück – ein Zeichen seines Commitments und seiner persönlichen und intellektuellen Treue. Zum anderen hat er selbst im Gespräch mit Bernard Eisenschitz die Einheit aller Filme hervorgehoben: "Von Anfang an habe ich meine Filme als einen großen Film beschrieben – alle Filme zusammen ergeben den Film eines Lebens".
Einzelne Linien stechen hervor: Doc's Kingdom (1987), ermöglicht durch den Produzenten Paulo Branco, zeigt die Wiederbegegnung mit einem der Stadtguerilla-Kämpfer aus Ice. Die Weiterentwicklung dieses fiktionalen Charakters "Doc" (Paul McIsaac), der in die Wirklichkeit des amerikanischen Alltags zurückkehrt und durch die US-Geschichte und Gegenwart von Maine nach Key West reist, führt zum filmhistorischen Meilenstein Route One/USA (1989).
Für Kramers Figuren – so gut wie nie lassen sie sich als Protagonist*innen bezeichnen – sind nationale, kulturelle oder religiöse Zuschreibungen zweitrangig. Ihre Wurzeln liegen meist anderswo, und sie sind, wie die Filme insgesamt, immer in Bewegung, angetrieben von nomadischer Rastlosigkeit. Das Kino ist für Kramer ein Werkzeug, die eigene Unruhe und Neugier zu kanalisieren und sich einen Reim auf die Welt zu machen: "Jeder denkt bei Filmen vorwiegend an etwas, das gemacht wird, um einem etwas zu erzählen. Ich denke, das Wichtigste ist, zumindest für mich, dass sie mir erzählen, begreiflich machen, was hier wirklich vor sich geht." Filmemachen wie Nachdenken, Fühlen, Atmen.
Fünfundzwanzig Jahre nach seinem Tod ist ein guter Zeitpunkt, Kramers Filme erneut oder zum ersten Mal zu entdecken. Vielleicht lässt sich erst jetzt erkennen, wie früh Kramer die entscheidenden Probleme des 21. Jahrhunderts diagnostiziert hat. Schon Mitte der 1960er Jahre erkannte er im Kampf um die Rechte der Schwarzen die Notwendigkeit, sich selbst und seine Privilegien in Frage zu stellen. Sein fortgesetztes Engagement in Vietnam brachte ihn dazu, die Maßstäbe des Globalen Nordens einer radikalen Revision zu unterziehen: "Norden und Süden im Körper, im Geist. In der Psychologie. In der Sicht auf die Dinge, in unseren Werten und Träumen. Der Norden ('wir, ich') vom Süden aus gesehen. 'Unsere' instinktive Welt auf den Kopf gestellt." Und über die rücksichtslose Zerstörung der Erde schrieb er 1998: "Ich fürchte, dass wir dieses Planeten überdrüssig werden. Wir verbrauchen ihn, seine Ressourcen und seine Wunder. […] Wir haben es versaut, und es ist zweifelhaft, dass wir weniger zerstörerische, weniger wettbewerbsorientierte, gemeinschaftliche Verhaltensweisen lernen können."
Trotz der pessimistischen Einsicht, dass sich Ausbeutung, Profitorientierung und Rücksichtslosigkeit auf allen Ebenen durchgesetzt haben, hält Kramer am Kino in all seinen Formen fest: "Filmemachen ist eine Praxis. Filmemachen kann alles sein – Straßen fegen, Fenster putzen, Krüge töpfern, Kritiker sein. Es ist das Vehikel, mit dem du dich durch dein Leben bewegst. Es gibt nichts, das nicht dazugehört: deine Verhandlungen mit den Festivals oder wie du dich fühlst, in welches Hotel sie dich stecken, wen sie mit dem Zug und wen sie mit dem Flugzeug kommen lassen. All das ist ein Teil dieser Erfahrung." (Volker Pantenburg)
Band 37 der FilmmuseumSynemaPublikationen, Starting Places. A Conversation with Robert Kramer, von Bernard Eisenschitz in Zusammenarbeit mit Roberto Turigliatto, herausgegeben von Volker Pantenburg, erscheint zur Retrospektive (224 Seiten, in englischer Sprache) und ist bis 28. November zum Subskriptionspreis (20 statt 24 Euro) im Filmmuseum erhältlich.
Eine gemeinsame Retrospektive der Viennale und des Österreichischen Filmmuseums.
Als Gäste werden Keja Ho Kramer, Bernard Eisenschitz, Richard Copans, Paulo Branco und Volker Pantenburg erwartet.
Während der Viennale gelten von 18. bis 29. Oktober im Filmmuseum gesonderte Ticketregelungen.
"Hallo: Ich komme aus NYC. Die 50er waren mies. In den 60ern wurde ich wiedergeboren. Ende der 70er verließ ich die Staaten. Seitdem lebe ich hier und da, hauptsächlich in Paris, und mache Filme." Mit dieser lakonischen Kurzbiografie beginnt Robert Kramer 1998 einen Brief an Bob Dylan. Er schlägt dem Musiker ein gemeinsames Filmprojekt vor – "kein Film über dich, kein Dokumentarfilm und keine Reportage, sondern wir beide, die über einen gewissen Zeitraum einen Film zusammen machen." Aus dem Projekt wird nichts. Kramer stirbt im November 1999 mit 60 Jahren in Rouen in der Normandie.
In Wim Wenders' Chambre 666 (Zimmer 666, 1982) schildert Kramer seinen Weg zum Film so: "Ich fing mit dem Schreiben an und schrieb Romane, aber ich merkte, dass ich in dieser übermächtigen Tradition gefangen war. Filme dagegen waren frei, es gab keine Regeln, das war mein Terrain. Ich konnte alles machen, was ich machen wollte – so wie alle anderen auch." Mindestens genauso wichtig ist, dass Kramer durch sein politisches Engagement zum Filmemachen kam. Troublemakers (1965) von Norman Fruchter und Robert Machover, die später zu wichtigen Verbündeten wurden, zeigt den Mittzwanziger als Aktivisten beim Bürgerrechtskampf der Schwarzen Community in Newark. In einer der aufgeregten Diskussionsrunden im Film schildert Kramer sein ambivalentes Verhältnis zur Politik: "Mich plagen enorme Vorurteile gegenüber der Politik. Mein ganzes Leben habe ich damit verbracht, herauszufinden, wie sehr das politische System stinkt, und ich verstehe nicht, wie wir plötzlich mitmachen und es ändern sollen." Die Gründung des Newsreel-Kollektivs, an dem Kramer 1967 als einer der Initiatoren und Hauptakteure beteiligt war, schien einen Ausweg zu bieten. Das Programm: politisch agieren, aber mit filmischen Mitteln und im Rahmen eines unabhängigen, selbstorganisierten Produktions- und Distributionsmodells, Schulter an Schulter mit den Students for a Democratic Society (SDS), verschiedenen Anti-Kriegsgruppen und den übrigen Gegen-Medien der oppositionellen Bewegung.
Mit seinen ersten Filmen, der Schwarzweiß-Trilogie In the Country (1966), The Edge (1967) und Ice (1969, Kamera: Machover, Ton: Fruchter), begibt sich Kramer ins Zentrum der Widersprüche der Neuen Linken. Von Anfang an steht die Gewaltfrage im Raum, von Anfang an sind auf allen Ebenen Unsicherheiten und Zweifel zu spüren, die von der umfassenden Gesellschaftsutopie über die Gruppendynamiken bis in die einzelnen Fasern der Individuen hineinreichen.
In Milestones (1975, Co-Regie: John Douglas) wird die Zersplitterung der Bewegung in einem breit angelegten Panorama vorgeführt. Verschiedenste Lebenswege, ein Figurenarsenal von fast 50 Genoss*innen, die trotz der Ernüchterungen nach 1968 ihren politischen Idealen treu zu bleiben versuchen. Alternative Kommunen in Vermont, rastloses Driften durch das Land, Neuorientierung nach Gefängnisaufenthalten, intensiver Austausch von Erfahrungen. Stets präsent: das Bewusstsein für die gewalttätigen Wurzeln der USA im Völkermord an den Native Americans und für die brutale Verschiffung und Versklavung der Schwarzen Bevölkerung. Aber auch: das Wunder neuen Lebens in einer langen, schmerzhaft-schönen Geburtssequenz.
Schon früh riefen Kramers Filme in Europa mehr Begeisterung hervor als in seinem Heimatland. Besonders die französischen Cinéphilen sahen die Verwandtschaft zu Jacques Rivette und den 1968er-Aktivisten Jean-Luc Godard und Chris Marker. Die Nelkenrevolution zog den Filmemacher (wie den späteren Freund und Kollegen Thomas Harlan, mit dem 1984 das Diptychon Wundkanal/Notre Nazi entstand) in den nachrevolutionären Aufbruch und führte zu Scenes from the Class Struggle in Portugal (1977). 1979 übersiedelte er mit seiner Frau Erika und der 1974 geborenen Tochter Keja Ho (benannt nach Ho Chi Minh) nach Paris, von wo aus es ihm gelang, in den folgenden zwei Jahrzehnten mehr als 20 Produktionen zu realisieren: für Fernsehen und Kino, zwischen vier und 255 Minuten lang, in unterschiedlichsten analogen und digitalen Medien zwischen 16mm und 35mm, Hi8 und DigiBeta.
Zwar lassen sich Kramers Filme, die von Beginn an das Dokumentarische in der Fiktion und die fiktionalen Momente im Dokumentarischen finden, in Phasen einteilen. Er selbst schlägt vor, die erste Periode mit dem Film über die Portugiesische Revolution enden zu lassen. In ähnlicher Weise könnte man die Produktionen der frühen 1980er Jahre nach dem enigmatischen Guns (1980) als Werkphase zusammenfassen. Das Pariser Institut National de l'Audiovisuel (INA) ermöglichte es Kramer (wie vielen anderen experimentellen Filmemachern in dieser Zeit), kürzere und mittellange Auftragsarbeiten zu realisieren. Für die 1990er ließe sich mit dem Filmkritiker Hironobu Baba von einer "Europäischen Trilogie" sprechen, die Berlin 10/90 (1991), Walk the Walk (1995) und Le Manteau (1997) umfasst. Die Spurensuche nach den jüdischen Ursprüngen seiner Mutter in Odessa und der Zeit seines Vaters an der Charité in Berlin um 1930 tritt in diesen Filmen als wichtiges Motiv hervor.
Zugleich wird eine derartig säuberliche Einteilung Kramers Werk nicht gerecht. Zum einen kehrt Kramer immer wieder zu Orten (Portugal, Vietnam, Berlin, die USA) und Personen zurück – ein Zeichen seines Commitments und seiner persönlichen und intellektuellen Treue. Zum anderen hat er selbst im Gespräch mit Bernard Eisenschitz die Einheit aller Filme hervorgehoben: "Von Anfang an habe ich meine Filme als einen großen Film beschrieben – alle Filme zusammen ergeben den Film eines Lebens".
Einzelne Linien stechen hervor: Doc's Kingdom (1987), ermöglicht durch den Produzenten Paulo Branco, zeigt die Wiederbegegnung mit einem der Stadtguerilla-Kämpfer aus Ice. Die Weiterentwicklung dieses fiktionalen Charakters "Doc" (Paul McIsaac), der in die Wirklichkeit des amerikanischen Alltags zurückkehrt und durch die US-Geschichte und Gegenwart von Maine nach Key West reist, führt zum filmhistorischen Meilenstein Route One/USA (1989).
Für Kramers Figuren – so gut wie nie lassen sie sich als Protagonist*innen bezeichnen – sind nationale, kulturelle oder religiöse Zuschreibungen zweitrangig. Ihre Wurzeln liegen meist anderswo, und sie sind, wie die Filme insgesamt, immer in Bewegung, angetrieben von nomadischer Rastlosigkeit. Das Kino ist für Kramer ein Werkzeug, die eigene Unruhe und Neugier zu kanalisieren und sich einen Reim auf die Welt zu machen: "Jeder denkt bei Filmen vorwiegend an etwas, das gemacht wird, um einem etwas zu erzählen. Ich denke, das Wichtigste ist, zumindest für mich, dass sie mir erzählen, begreiflich machen, was hier wirklich vor sich geht." Filmemachen wie Nachdenken, Fühlen, Atmen.
Fünfundzwanzig Jahre nach seinem Tod ist ein guter Zeitpunkt, Kramers Filme erneut oder zum ersten Mal zu entdecken. Vielleicht lässt sich erst jetzt erkennen, wie früh Kramer die entscheidenden Probleme des 21. Jahrhunderts diagnostiziert hat. Schon Mitte der 1960er Jahre erkannte er im Kampf um die Rechte der Schwarzen die Notwendigkeit, sich selbst und seine Privilegien in Frage zu stellen. Sein fortgesetztes Engagement in Vietnam brachte ihn dazu, die Maßstäbe des Globalen Nordens einer radikalen Revision zu unterziehen: "Norden und Süden im Körper, im Geist. In der Psychologie. In der Sicht auf die Dinge, in unseren Werten und Träumen. Der Norden ('wir, ich') vom Süden aus gesehen. 'Unsere' instinktive Welt auf den Kopf gestellt." Und über die rücksichtslose Zerstörung der Erde schrieb er 1998: "Ich fürchte, dass wir dieses Planeten überdrüssig werden. Wir verbrauchen ihn, seine Ressourcen und seine Wunder. […] Wir haben es versaut, und es ist zweifelhaft, dass wir weniger zerstörerische, weniger wettbewerbsorientierte, gemeinschaftliche Verhaltensweisen lernen können."
Trotz der pessimistischen Einsicht, dass sich Ausbeutung, Profitorientierung und Rücksichtslosigkeit auf allen Ebenen durchgesetzt haben, hält Kramer am Kino in all seinen Formen fest: "Filmemachen ist eine Praxis. Filmemachen kann alles sein – Straßen fegen, Fenster putzen, Krüge töpfern, Kritiker sein. Es ist das Vehikel, mit dem du dich durch dein Leben bewegst. Es gibt nichts, das nicht dazugehört: deine Verhandlungen mit den Festivals oder wie du dich fühlst, in welches Hotel sie dich stecken, wen sie mit dem Zug und wen sie mit dem Flugzeug kommen lassen. All das ist ein Teil dieser Erfahrung." (Volker Pantenburg)
Band 37 der FilmmuseumSynemaPublikationen, Starting Places. A Conversation with Robert Kramer, von Bernard Eisenschitz in Zusammenarbeit mit Roberto Turigliatto, herausgegeben von Volker Pantenburg, erscheint zur Retrospektive (224 Seiten, in englischer Sprache) und ist bis 28. November zum Subskriptionspreis (20 statt 24 Euro) im Filmmuseum erhältlich.
Eine gemeinsame Retrospektive der Viennale und des Österreichischen Filmmuseums.
Als Gäste werden Keja Ho Kramer, Bernard Eisenschitz, Richard Copans, Paulo Branco und Volker Pantenburg erwartet.
Während der Viennale gelten von 18. bis 29. Oktober im Filmmuseum gesonderte Ticketregelungen.
Zusätzliche Materialien
Innerhalb der Schau sind die Filme in der Reihenfolge ihrer Programmierung angeordnet.