Toilette, 1979, Friederike Pezold

Revolution der Augen
Filme von Friederike Pezold (pezoldo)

25. und 26. September 2024

"angefangen hat der anfang mit einem untergang wie immer wenn ich anfange", schreibt die Künstlerin und Filmemacherin Friederike Pezold 1979 über die Entstehung ihres Films Toilette. Die Arbeit wird zu diesem Zeitpunkt bereits im Forum des jungen Films der Berlinale Premiere gefeiert haben. Der Untergang wurde also abgewandt, aus der Not eine Tugend. Damit sind bereits einige widerständige Kernmerkmale der Multiversen Pezolds – die seit 1991 auch unter dem geschlechtsneutralen Namen pezoldo agiert – angelegt: nicht bloß beklagen, sondern zur Wehr setzen; sich auflehnen, gegen den Zeitgeist und "den großen Scheiß, der einem tagtäglich in Hirn und Herz geschissen wird"; Revolution, laut und ohne falsche Zurückhaltung.
 
Die Konsequenz und unbedingte Dringlichkeit, mit der pezoldo diese Auflehnung artikuliert – und vor allem auch lebt –, genießt Seltenheitswert. Seit den späten 1960ern forscht und agiert die diplomierte Therapeutin an der Schnittstelle von bildender Kunst, Film/Video und Medienkunst. Von den frühen Videoskulpturen und Fotoserien bis zum jüngsten Film Revolution der Augen (2022) sind es stets die herrschenden Verhältnisse, denen es in ihrer Kunst an den Kragen geht, sowie "Revolutionen des Sehens", die unnachgiebig ausgefochten werden: Wie sehen wir? Wie haben wir gesehen? Wie werden wir in Zukunft sehen?
 
Die kontinuierliche Neubewertung der eigenen Arbeit nimmt in diesem BLICKVERÄNDERUNGSGESAMTWERK einen besonderen Stellenwert ein. Mehrfach hat pezoldo zwar mit ihren Filmen bei internationalen Festivals für Aufsehen gesorgt, nur drei ihrer filmischen Arbeiten befindet sie selbst heute aber als gut genug, um für die Nachwelt zu überdauern: Toilette (1979), Canale Grande (1983) und Revolution der Augen. In deren Zusammenführung im Österreichischen Filmmuseum treten Humor, Frechheit und die Faktoren Zeit und Dauer in den Vordergrund. Während die gegenwärtige Alltags- und Medienrealität mit ihrer "overdosis of digital shitpictures" zur zunehmenden Überforderung führt, erkämpft Pezold darin Raum für ein Schauen mit alleräußerster Intensität.
 
Und sie erkämpft diesen Raum als radikal unabhängige Künstlerin, die das große Kunstwelt-Repräsentations-Klimbim trotz weltweiter Festival- und Ausstellungseinladungen – vom MOMA bis zum Centre Pompidou, von der documenta bis zur Biennale – verweigert, bisweilen durch vollkommenen Rückzug aus der Öffentlichkeit. Nie ging es pezoldo darum, sich gemein zu machen. "Sie ist die Frau, die ihr eigenes Universum schafft", attestiert Amos Vogel dazu passend in Bezugnahme auf ihren sicherlich zugänglichsten, mit Kamerafrau Elfi Mikesch realisierten Film, Canale Grande. Pezolds Werk avancierte dennoch – oder gerade deshalb – zu einem der bestgehüteten Schätze der österreichischen Filmgeschichte.
 
Obgleich es erfreulicherweise gerade zu einer Wiederentdeckung desselben kommt, umgibt pezoldo auch noch nach gut sechzig Jahren Kunstpraxis eine Aura erfrischender Widerspenstigkeit. Selbst der jüngste Film, Revolution der Augen, der ihre Kunstsprache vielleicht am deutlichsten zusammenführt, ist weder gefällig, noch muss er gefallen. In pezoldos unverkennbar angriffigen Stil – entschleunigt, entleert und entlärmt – geht es um nicht weniger als die Rettung einer aussterbenden – konzentrierten – Art der Wahrnehmung. Der produktiv gemachte Untergang wohnt dieser Unternehmung schon immer inne. Als Anfang eines Anfangs: der Entwicklung eines neuen Blicks. (Sebastian Höglinger)
  
In Kooperation mit sixpackfilm

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