Depot

Navigator Film

2021 übergab die österreichische Filmproduktionsfirma Navigator Film ihre Analogfilmsammlung als Depot an das Österreichische Filmmuseum.

Die 1992 von Johannes Holzhausen, Johannes Rosenberger und Constantin Wulff gegründete Produktionsfirma hat sich die Realisation von Dokumentarfilmen und internationalen Koproduktionen zum Ziel gemacht, ebenso wie die Vermittlung von grundlegenden künstlerischen Positionen des Dokumentarischen. Seit der Gründung hat Navigator Film inzwischen mehr als 60 Kino-, TV- und Kurzdokumentarfilme produziert und sieht sich als dem Autorenfilm – und damit den Regisseur*innen – verpflichtet.
 
Im Depot im Filmmuseum befinden sich unterschiedlichste Materialarten zu 40 Titeln: von Serienkopien bis hin zu Originalnegativen von Kurz- oder Langdokumentarfilmen, aus eigener Produktion oder auf andere Weise mit Navigator Film verbunden.
 
Die Bandbreite der von Navigator Film produzierten Dokumentarfilme ist groß, ebenso wie die behandelten Themen.
 
Besonders umfangreich ist das im Depot enthaltene Material zu Johannes Holzhausens Film Auf allen Meeren (2001), in dem es um die Geschichte des sowjetischen Kriegsschiffes "Kiev" und seiner ehemaligen Besatzung geht. Das Filmmuseum lagert nun das Super-16 Originalnegativ, das Blowup Interpositiv, das Internegativ und eine Serienkopie von Auf allen Meeren.
 
Auch von Martina Kudláčeks In the Mirror of Maya Deren (2001) sind vielfältige Materialien Teil des Depots, neben einer Serienkopie auch das Internegativ und ein Negativ des Filmtrailers. Der Film porträtiert die zum Mythos avancierte Avantgarde-Regisseurin Maya Deren. 
 
Ein wiederkehrendes Thema der von Navigator produzierten Filme ist die Aufarbeitung von Österreichs problematischer (NS-)Vergangenheit. Dazu zählt beispielsweise Karin Bergers Ceija Stojka (2001). In Ceija Stojka porträtiert Berger die eponyme Künstlerin und Schriftstellerin, die den Lovara-Roma angehörte und drei Konzentrationslager überlebte.
 
Diesem Themenkomplex gehört auch Karin Stegers Verräumt (1999) an, welcher sich mit Vergangenheit und Gegenwart eines Geschwisterpaares beschäftigt, das unter Hitler zur Fremdarbeit nach Österreich gebracht wurde und geblieben ist.
   
Neben der Filmproduktion gehören auch filmkulturelle Aktivitäten wie Retrospektiven und Vorträge zu den Tätigkeiten von Navigator Film, einige davon in Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum. Dazu gehört die Präsentation des Werks von internationalen Größen des Dokumentarfilms, auch die Anfang der 1990er Jahre initiierte Wiederentdeckung der Filme von Wilhelm Gaube und von Alfred Kaiser.
 

Wilhelm Gaube

Die im Depot enthaltene Sammlung von Filmen von Wilhelm Gaube (1925–2012) ist an dieser Stelle besonders hervorzuheben. Nach eigener Aussage hat Gaube im Laufe von drei Jahrzehnten über 200 Filme, fast ausschließlich über (bildende) Künstler gedreht. Bereits in den 1950er Jahren lernte Gaube im Wiener Art Club einige der später porträtierten Künstler*innen kennen. Er wurde zuerst Bibliothekar und später stellvertretender Direktor des Museums des 20. Jahrhunderts. In diesem Rahmen organisierte er zwischen 1970 und 1980 nicht nur über 100 Ausstellungen, er schaffte für das Museum auch 16mm-Filmausrüstung an, was es ihm ermöglichte, seine Filme zu realisieren und mit diesen, Dokumente mit Archivfunktion als Gedächtnisspeicher für kommende Generationen zu produzieren.
 
Seine (Kurz-)Dokumentationen folgen größtenteils einem ähnlichen Schema: "Eine Person (Gaube) begegnet/filmt eine Person (den Künstler) an einem Ort." Obwohl Gaube selbst, der oft mehrere oder gar sämtliche Arbeitsbereiche des Films übernimmt, nie zu sehen oder zu hören ist, wird seine besondere Nähe zu den Künstler*innen für die Zuschauer*innen spürbar; mit vielen der Künstler*innen verband Gaube eine jahrelange Freundschaft. Die Porträtierten – künstlerische Größen der österreichischen Nachkriegsgeneration und prägende Künstler*innen der 60er und 70er Jahre, wie beispielsweise Martha Jungwirth, Carry Hauser oder Franz Ringel – sprechen über ihr künstlerisches Schaffen, über Kunst an sich oder über ihre Werke. Er porträtierte aber auch weniger bekannte Künstler*innen wie den unterschätzten und kaum bekannten Bildhauer Johannes Koller. Für Gaube machte es keinen Unterschied: "Alle Kunst ist ihm gleich heilig" (Paul Kruntorad).
 
Die Einfachheit von Gaubes Werken, gekennzeichnet durch den Verzicht auf Kamerafahrten, Schwenks, oder gar auf "filmische Auflösung" kann als wertvolle Eigenheit gesehen werden: Seine Filme haben etwas "Fotografisches" an sich, das, in Kombination mit der persönlichen Nähe zu den Porträtierten, zu einer gewissen Wahrhaftigkeit der Filme führt.
  
Einige von Gaubes Filmen wurden auf Festivals oder in Kinos gezeigt, einer breiteren Öffentlichkeit sind sie jedoch weitgehend unbekannt geblieben. Das war auch nie Gaubes Intention: "Er war unbeirrbar in dem Vorhaben, seine Filme nicht zu zeigen", schreibt Joerg Burger, den mit Gaube eine 17 Jahre andauernde Freundschaft und Arbeitsgemeinschaft verband. (Magdalena Steffan)
 

Quellen   
Joerg Burger, "Filme machen für sich selbst und den Künstler. Über meine Zeit mit Wilhelm Gaube". In Österreich real : Dokumentarfilm 1981-2021, Alejandro Bachmann, Michelle Koch (Hg.), Wien: filmarchiv austria, 2022.
 
Dok.at, "Wilhelm Gaube".
 
Paul Kruntorad, "Wilhelm Gaubes Künstlerfilme". In Wilhelm Gaube. Filmportraits österreichischer Künstler, Navigator Film (Hg.), 1993, S. 16-20.
 
Navigator Film, "Profil".
 
Navigator Film, "Der Filmemacher als Einzelgänger". In Wilhelm Gaube. Filmportraits österreichischer Künstler, Navigator Film (Hg.) 1993, S. 4-5.
 
Wolfgang Schreiner, "Bildende Kunst in Film, Fernsehen und Video: die Künstlerportraits von Wilhelm Gaube," 2002.