Stadtfilme

Schwechat, 1961: Als Flughäfen noch besuchenswerte Orte waren

 
An einem Sonntagnachmittag im Februar 1961 fuhren nach einem gemeinsamen Mittagessen alle Familienmitglieder mit dem Auto nach Schwechat, um den Flughafen zu besuchen. Nachdem die neue Panoramaterrasse fertiggestellt worden war, konnte man nun direkt auf die Landebahn sehen und alle abfliegenden oder ankommenden Flugzeuge besser beobachten. Das Motorengeräusch und den frischen Wind ohne Trennung durch Glasfenster hautnah zu erleben war damals ein neues und besonderes Ereignis.

Frau Margret Veit hatte die legendäre österreichische Amateurfilmkamera Eumig C3 natürlich mit dabei und drehte in Schwarz-Weiß. Nach sorgfältiger Bearbeitung wies der Film 29 Klebestellen auf und dauerte neun Minuten: Auf Bildkomposition und Montage wurde Wert gelegt.

Aus heutiger Sicht mag es überraschen, dass die Wiener den Flughafen als familiäres Ausflugsziel wählten. Doch sie betrachteten ihn als Ausweis von Modernität – so wie man eben zeitgenössische Kunst und Architektur besichtigt. Flughafenkontrolle oder Polizei waren kaum präsent. Die Beschilderung war karg und das ganze Gebäude ein offener Ort der Gelassenheit. Heute herrscht hier wie auf allen Flugplätzen Hektik und Paranoia.

Der französische Soziologe Marc Augé bezeichnete 1992 die Flughäfen als Nichtorte, also als Plätze ohne Geschichte und Identität. Im Februar 1961 war der Flughafen Schwechat noch einer Besichtigung würdig – er besaß ein Potenzial, das danach drängte, auf Schmalfilm gebannt zu werden.

Margret Veit & Paolo Caneppele

Erstmals veröffentlicht auf derStandard.at am 21.7.2014

>>> Details zum Projekt StadtFilmWien


Weitere Beiträge:
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23

 
<<< Zurück zur Übersicht