Die Rückseite des Films

Wahlfilm zur Wien-Wahl 1959: Stadtmaschine im Dreivierteltakt


Zurückhaltung ist in der Wahlwerbung eine vernachlässigenswerte Tugend. So lässt Wunder Wien gleich zu Beginn, um die Verwüstungen des Jahres 1945 zu untermalen, das berühmte Anfangsmotiv der Schicksalssymphonie schmettern. Dieser plakative Auftakt jagt aber nicht nur der Aufmerksamkeit eines vor dem Hauptfilm vielfach abgelenkten Kinopublikums im Herbst 1959 nach. Er führt gleich konzis in das Konstruktionsprinzip des SPÖ-Fünfminüters ein: Der bewirbt "unser neues Wien", indem er es zu seinen diversen Vergangenheiten in Bezug setzt.
 

Am deutlichsten ausgewiesen wird der Kontrast zwischen dem "Grauen und Elend der letzten Kriegstage", eingangs durch schwarz-weiße Archivaufnahmen in Erinnerung gerufen, und dem daraufhin in weichem, sattem Agfacolor ausgebreiteten Wirtschaftswunder-Wien der späten 1950er-Jahre. Schon listiger ist, wie die Ruinen-Montage zu Beginn die kommunalen Wohnbauten aus dem Roten Wien der Zwischenkriegszeit gleichberechtigt neben touristische Symbole der Habsburgerzeit (Stephansdom, Schönbrunn, Riesenrad) setzt.


Ähnlich fügt der Film auch rezente Bauleistungen oft in den Zusammenhang historischer Ensembles: Vom Verkehrskreis Praterstern zum Riesenrad, vom Ringturm zum Burgtheater, von der Karlskirche zum eben eröffneten Neubau des Historischen Museums der Stadt Wien ist es nur ein kurzer, Vertrauen stiftender Schwenk. Auf die wiederaufgebaute Staatsoper blickt die Kamera – mit einigem kinematografischem Raffinement – durch die Glasscheibe eines Abgangs zur Opernpassage, in der sich die sachliche Neubauarchitektur auf der gegenüberliegenden Seite des Rings spiegelt.

Solche Einstellungen verdoppeln filmisch gewissermaßen den Charakter der Wiener Stadtentwicklung der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte, die durch zahlreiche, durchaus markante Einzelbaumaßnahmen ohne stilbildende Umgestaltung des urbanen Gesamtkörpers charakterisiert war. Auch sonst gibt Wunder Wien den "sozialen Städtebau" der späten 1950er-Jahre gebündelt wieder, und zwar sowohl im zwischen Paternalismus und betonter Gemeinschaftlichkeit wechselnden Tonfall des Kommentartextes als auch im breiten Spektrum der angepriesenen Leistungen der Gemeinde: Diese reichen von Wohnbau und Kinderbetreuung über Anpassungen an den steigenden Pkw-Verkehr bis zu Freizeitangeboten und Erholungszonen.
 

Erweckt das flinke Ineinandergreifen aller Elemente bisweilen den Eindruck einer technokratischen Stadtmaschine, dann läuft diese – so versichert der Film – zumindest gut geölt, und das im Takt des Donauwalzers.

Joachim Schätz
Erstmals veröffentlicht auf derStandard.at am 29.9.2015

Gewidmet Siegfried Mattl, der an der Gestaltung dieser Serie maßgeblich beteiligt war. Mattl starb im April 2015 in Wien.

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