Die Rückseite des Films

Recycling für Hitlers Front in "Tante Klementine"


Bei "Tante Klementine" denken noch viele an die sympathische Klempnerin aus der Waschmittelwerbung: Als eine der ersten Werbe-Ikonen der BRD warb Johanna König als Klementine für Ariel und versprach im Nachkriegsfernsehen nicht nur saubere, sondern reine Wäsche. Im propagandistischen Werbefilm Tante Klementine aus der Sammlung des Filmmuseums hingegen wird ein Versprechen ganz anderer Art gemacht.
 

Der knapp viereinhalbminütige 35-mm-Film in Schwarz-Weiß stellt der damaligen Bevölkerung und insbesondere (Haus-) Frauen wie der Tante Klementine nichts weniger als den Dank der Front und einen Ausweg aus der Rückständigkeit in Aussicht. Doch dafür ist ein Umdenken notwendig, das der Film mithilfe der fiktiven Geschichte einfordert.
 

Eine Gruppe Schüler*innen beobachtet Erwachsene, wie sie unbedacht Lumpen, Knochen und sonstigen Abfall wegschmeißen. Während die Kinder ein Lied anstimmen, das ihre Sammelaktion für Rüstung und Front ankündigt, springt der zuvor entsorgte Mist wie von Zauberhand – mit Hilfe einer nur vermeintlich durchsichtigen Angelschnur – wieder aus den Mülleimern. Entlang der Diskussion zwischen dem sammelnden Jungen Walter und Klementine entwickelt der Film seinen Appell zur Altwarenabgabe.
 

Das NS-Regime hatte im Rahmen des sogenannten Vierjahresplans begonnen, die Berufsgruppe der Lumpensammler, zu denen neben sozial Benachteiligten auch viele jüdische Altwarenhändler angehörten, systematisch zu verdrängen. Gleichzeitig wurde ab 1934 vor allem über Radiosendungen massiv versucht, der Wiederverwertung von Rohstoffen im öffentlichen Bewusstsein einen hohen Stellenwert zuzuweisen. Dahinter lag neben dem wirtschaftlichen vor allem das ideologische Kalkül, den Altwarenhandel von einer vormals reinen Geschäftsbeziehung zu einer politischen Unterstützungserklärung für das Regime und später zur Kriegsopfergabe zu erheben.

Den Einsatz der Hitlerjugend für die Sammelaktionen stilisiert das filmische Zeitdokument Tante Klementine mit den Gegensatzpaaren damals/heute sowie alt/neu. Berechtigte Bedenken, die Ausbildung der Kinder leide unter den zeitintensiven Aufgaben, werden als vorgestrig abgetan: dem um die Zukunft seines Sohnes bedachten Vater wird mit dem Versprechen entgegnet, die gemeinsame Sammelaktion aller Schulkinder erreiche durch systematisches Vorgehen und Kontrolle eine flächendeckende Erfassung der Haushalte.

Die individualistische Einstellung des Vaters ist obsolet, der Sohn verkörpert die neue Generation, die auch von Tante Klementine eifrigen Einsatz des Einzelnen für das Kollektiv fordert: Sie soll erkennen, dass auch kleine Altwarenspenden sich summieren und erneut in den Wirtschaftszyklus der Rüstungsproduktion eingespeist werden. So kann auch sie ihre frühere nachlässige Einstellung ablegen und sich geläutert, unter gänzlicher Ausblendung der Kriegsnot ins siegessichere Kollektiv des Regimes einreihen.

Sema Colpan
Erstmals veröffentlicht auf derStandard.at am 3.8.2015


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